Update Februar 2022
Wo kommt Omikron eigentlich (so plötzlich) her?
Omikron scheint ein noch größeres Wirtsspektrum infizieren zu können als die Varianten zuvor. In Zellkulturstudien wurde bestätigt, dass das Spike Protein von Omikron zusätzlich an die ACE2-Rezeptoren von Truthühnern, Hühnervögel und Mäuse binden kann.
In einer weiteren Studie wurde postuliert, dass die N501Y-Q498R Mutationskombination auch an die ACE2-Rezeptoren von Ratten binden kann. Einige der Mutationen in der Omikron-Variante wurden auch in SARS-CoV-2 Viren bei Ratten in Laborexperimenten nachgewiesen.
Im Februar 2022 wurde ein Weißwedelhirsch (Odocoileus virginianus) in Staten Island (USA) positiv auf die Omikron-Variante getestet. Somit ist nun der erste Fall dieser ansteckenderen Variante auch bei Wildtieren bestätigt. Diese neuen Erkenntnisse nähren die Vermutung, dass die Weißwedelhirsche tatsächlich ein tierisches Reservoir für SARS-CoV-2 sowie (durch die Möglichkeit von Mutationen) ein Ursprung für neue Varianten sein könnten. Mittlerweile wurden auch in Arkansas, Illinois, Kansas, Maine, Massachusetts, Minnesota, New Jersey, New York, North Carolina, Oklahoma, Pennsylvania, Tennessee und Virginia Weißwedelhirsche positiv getestet. Die Wissenschaftler in den USA gehen davon aus, dass die Hirsche von Menschen angesteckt werden (beispielsweise durch das Füttern in Parks, kontaminierte Lebensmittel oder kontaminierten Abfall etc.) und das Virus dann in ihrer Population verbreiten. Noch werden keine Infektionen vom Hirsch auf den Menschen bestätigt. Bei dem auf Omikron positiv getesteten Weißwedelhirsch wurden hohe Antikörpertiter festgestellt. Dies könnte darauf hindeuten dass der Hirsch bereits vorher mit SARS-CoV-2 infiziert war und nun mit der Omikron-Variante erneut angesteckt wurde. Offensichtlich sind die Tiere auch vor Reinfektionen nicht geschützt, was sie erst recht zu einem möglichen Reservoir machen könnte. Aufgrund der neuen Erkenntnisse könnte es sich lohnen auch andere Vertreter der Familie Cervidae, Unterfamilie Capreolinae (Neuwelthirsche) zu screenen.
Update Januar 2022:
Tiere doch ein wichtiges Reservoir für die SARS-CoV-2 Omikron-Variante?
Im Januar 2022 sah sich sogar die Weltorganisation für Tiergesundheit (World Organisation for Animal Health, OIE) zu einem Statement gezwungen, da Spekulationen über ein mögliches tierisches Reservoir für die Omikron-Variante (z.B. die Nerze oder die Weißwedelhirsche…) lauter wurden (siehe unten). Die Omikron-Variante hat tatsächlich eine ungewöhnliche Konstellation von Mutationen, die möglicherweise von einem tierischen Wirt stammen könnten.
Da aber in der Zusammenschau alle Omikron-Mutationen (auch diejenigen, die für die Verringerung der Immunantwort verantwortlich sind) bereits beim Menschen nachgewiesen wurden (auch wenn in geringerer Häufigkeit) gehen die Wissenschaftler der OIE davon aus, dass (trotz allem nachweisbaren „evolutiven Drucks“ auf das Virus) eine Assoziation mit einem tierischen Reservoir sehr unwahrscheinlich ist.
Die Möglichkeit, dass sich die Omikron-Variante aus einem tierischen Wirt entwickelt hat, kann zwar nicht völlig verworfen werden. So gibt es Hinweise, dass einige Mutationen im Spike-Protein mit einer Adaptation in Mäusen assoziiert sein könnte. So könnte sich Omikron in Mäusen entwickelt haben, bevor die Variante dann wieder zum Menschen gelangte.
Während in den Genom-Datenbanken (GISAID EpiCoV) zum Jahreswechsel bereits über 6 Millionen Sequenzen von SARS-CoV-2 beim Menschen hinterlegt waren, waren es lediglich 1500 aus tierischen Proben.
Umso wichtiger ist es, dass weiterhin epidemiologische Untersuchungen zu SARS-CoV-2 stattfinden, vor allem, um weitere mögliche Wirte im Tierreich zu identifizieren und gezielt deren Mutationen zu screenen.
Update Dezember 2021:
Tiere doch ein wichtiges Reservoir für SARS-CoV-2?
Bislang gingen alle Wissenschaftler davon aus, dass Tiere bei der Ausbreitung des Erregers beim Infektionsgeschehens des Menschen keine bzw. ein untergeordnete Rolle spielen. Siehe Ausführungen unten!
Bereits im September 2021 äußerten einige Wissenschaftler, dass die Virusvariante, die als nächstes kommen werde, einen Wendpunkt der Pandemie, derzeit verursacht durch die Delta-Variante, einleiten würde. Dann aber wurde die Omikron-Variante entdeckt. Die nächsten genetischen Varianten von Omikron hatte man aber seit Sommer 2021 beim Menschen nicht mehr gesehen. Das wiederum führte einige Wissenschaftler zu der Vermutung, dass es von einem tierischen Wirt stammt. Und wenn sowas mit Omikron passieren könnte, könnte es sicherlich erneut passieren. SARS-CoV-2 ist ein Virus mit mehreren Wirten (ein sogenanntes promiskuitives Virus). Unsere Übersichten auf den jeweiligen „Unterseiten“ zeigen eindringlich, bei wie vielen Tieren es gefunden werden konnte. Im November 2021 berichteten Forscher, dass bis zu 40% der Hirschpopulationen in Illinois, Michigan, Pennsylvania und New Antikörper gegen SARS-CoV-2 aufwiesen. Derartige Ergebnisse könnten nunmehr doch darauf hindeuten, dass Tiere ein langfristiges Reservoir darstellen können: ein sicherer Hafen, in dem das Virus zirkulieren und sich entwickeln kann, und zwar auf unbestimmte Zeit, um dann von Zeit zu Zeit mutierte Versionen davon möglicherweise auch an Menschen weiterzugeben. Das Virus hat zwar keine unbegrenzte Mutationskapazität, aber solange es in der Lage ist, an menschliche Rezeptoren zu binden, wird es uns alle Bemühungen zur Eindämmung erschweren – und das möglicherweise über einen langen Zeitraum.
Sachstand bis November 2021:
Aufgrund der zoonotischen Herkunft war es nicht wirklich verwunderlich, dass SARS-CoV-2 auch Tiere infizieren kann. In zahlreichen Studien wurden Tiere daher experimentell infiziert (siehe oben) und die Ergebnisse „Score“-basiert festgehalten. Der Score setzt sich aus verschiedenen Parametern zusammen und beschreibt die Suszeptibilität der jeweiligen Tiere für eine SARS-CoV-2 Infektion. Ebenso wurde mit den Tieren verfahren, bei denen „natürliche“ Infektionen bekannt wurden. Somit führen Hamster, Menschenaffen, Nerze, Weißwedelhirsche, Frettchen und Hirschmäuse die Liste an, gefolgt von Katzen, Marderhunden, Rötelmäusen, Fledertieren, Hasen, Hunden, Kühen und Schweinen. Nutztiere scheinen also im Rahmen der SARS-CoV-2 Pandemie keine erwähnenswerte Rolle zu spielen. Obwohl gelegentlich eine Virusreplikation nachgewiesen werden konnte, fand keine länger andauernde Virusausscheidung statt. (https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fvets.2020.596391/full).
Können auch die neuen Varianten auf Tiere übertragen werden?
Virusvarianten sind durch Mutationen entstandene Varianten des (phylogenetisch) ursprünglichen SARS-CoV-2 Virus (oft als der jeweilige „Wildtyp“ bezeichnet). Solche Varianten können relevante Änderungen von Erregereigenschaften zeigen. Zu diesen Erregereigenschaften zählen beispielsweise Übertragbarkeit, Virulenz, Suszeptibilität gegenüber der Immunantwort von genesenen oder geimpften Personen. Eine erhöhte Transmissionswahrscheinlichkeit kann zu einer höheren Reproduktionsrate und folglich zu einem erhöhten Infektionsgeschehen führen. Solche Mutationen bei RNA Viren, zu denen SARS-CoV-2 gehört, sind per se nicht ungewöhnlich und spiegeln letztlich eine dynamische Virus-Wirts-Interaktion wieder. Längst nicht alle dieser durch Mutationen entstandenen Varianten führen tatsächlich zu für Mensch oder Tier relevanten Änderungen der Erregereigenschaften Sie können jedoch auch einen großen Einfluss auf das Pandemiegeschehen haben. Der Fokus liegt dabei vor allem auf Mutationen im Spikeprotein, da die durch Impfung vermittelte Immunreaktion sich vor allem auf das Spikeprotein konzentriert. Bestimmte Mutationen im Spikeprotein (in der Rezeptorbindungsdomäne) können darüber hinaus auch die Empfindlichkeit gegenüber neutralisierenden Antikörpern nach überstandener Infektion reduzieren, was die Gefahr einer symptomatischen Re-Infektion erhöhen könnte. Seit Mitte Dezember 2020 wird aus Großbritannien über die zunehmende Verbreitung der Virusvariante B.1.1.7 (20H/501Y.V1; VOC 202012/01; VOC: variant of concern, besorgniserregende Variante) beim Menschen berichtet, die sich durch eine ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen insbesondere im viralen S-Protein auszeichnet. Die Variante B.1.1.7 war in der Folge weltweit für steigende Zahlen von Patienten auf Intensivstationen verantwortlich. Die britische Virusvariante breitet sich auch in Deutschland rasant aus. Inzwischen dominiert die britische Mutation das Infektionsgeschehen in einigen Gebieten der Welt, so auch in Deutschland. B.1.1.7 ist ansteckender und wohl auch gefährlicher für Menschen im Vergleich zum „Wildtyp“. Jüngere Menschen erkranken vermehrt; auch bei ihnen ist das Risiko für einen schweren Verlauf erhöht. Ab März 2021 wurde die britische Virusvariante B.1.1.7 auch bei Haustieren (Hunden und Katzen) gefunden. Es handelt sich um Fälle von Reversen Zoonosen; die Tiere wurden von ihren Haltern angesteckt, die zuvor mit dieser Variante infiziert waren.
Immer mehr Coronaviren scheinen die Artbarriere vom Tier auf den Menschen zu „überspringen“
In den letzten 20 Jahren sind immer wieder neue Coronaviren von Tieren auf den Menschen übergegangen. Im Jahr 2002 „sprang“ SARS-CoV von Zibetkatzen zum Menschen. Zehn Jahre später kam MERS von Kamelen. 2019 folgte dann SARS-CoV-2. Aber es gab weitere, etwas weniger bekannte Beispiele: Vor einigen Jahren schon (2017-2018) wurden acht Kinder in Malaysia im Krankenhaus behandelt, die ein Coronavirus aufwiesen, wie es auch bei Hunden nachgewiesen wurde. Bislang waren 7 humanpathogene Coronaviren bekannt, wobei SARS-CoV-2 das jüngste Beispiel darstellt. Diese Coronavirus jedoch ist offensichtlich schon vor einigen Jahren von Schweinen zum Menschen gelangt.
Mittlerweile gehen einige Wissenschaftler davon aus, dass gerade Coronaviren die Artbarrieren leicht „überspringen“ können. Oft können die Coronaviren dann aber nicht von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Anders jedoch das Coronavirus aus Malaysia. Das Virus, das in den malayischen Patienten machgewiesen wurde, zeigt Gene von gleich vier verschiedenen Coronaviren auf: Zwei waren bei Hunden nachgewiesen worden, eines bei Katzen und eines bei Schweinen. Dies ist der erste Bericht über Coronaviren bei Hunden, bei denen zumindest angenommen wird, dass sie sich auch beim Menschen replizieren können.
Diese Rekombinationen verschiedener Coronaviren aus tierischen Reservoiren könnten im Laufe der Zeit zu humanpathogenen Coronaviren führen. Es handelt sich im Falle des malayischen Coronavirus um ein Alpha-Coronavirus (zu dem auch zwei bekannte Erkältungsviren gehören). Die bislang gefährlichsten Coronaviren (SARS-CoV-1, SARS-CoV-2 und MERS-CoV gehören jedoch zu den Beta-Coronaviren (siehe: https://www.sciencemag.org/news/2021/05/two-more-coronaviruses-can-infect-people-studies-suggest?utm_campaign=news_daily_2021-05-20&et_rid=54806180&et_cid=3781045).
Im März 2021 haben Wissenschaftler der Universität in Florida ein aus Schweinen stammendes Coronavirus untersucht, das 2014-2015 ebenfalls Menschen (auf Haiti) infizierte. Auf Affenzellen konnte das Virus angezüchtet werden (https://doi.org/10.1101/2021.03.19.21253391]).
Eigentlich sind die Delta-Coronaviren dafür bekannt ausschließlich Vögel zu befallen. 2012 jedoch hat ein Delta-Coronavirus in Hong Kong auch Schweine infiziert. Von Singvögeln ausgehend scheint es sich an Schweine adaptiert zu haben. 2014 wurde in den USA von einem Ausbruch von diesem Coronavirus bei Ferkeln berichtet, die an Diarrhoe litten und auch an der Infektion verstarben. Diese ursprüngliche Vogelvirus konnte seitdem in menschlichen Zelllinien vermehrt werden, ebenso wie in Zelllinien von Schweinen und Hühnern.
Möglicherweise gab es auch nicht nur ein Event eines Übertritts der ursprünglichen Viren vom Tier auf den Menschen. So könnte SARS-CoV-2 auch gleichzeitig auf (2 oder mehr) verschiedenen Märkten in China (Wuhan) von Tieren auf den Menschen übertragen worden sein. Es wurden schon sehr früh im Verlauf der Pandemie (ab 2019) verschiedene Linien (A und B) detektiert. Es könnte also auch sein, dass sich zwei Linien unabhängig voneinander entwickelt haben und nicht, dass die eine aus der anderen resultiert (als Mutation).
Derzeit ist davon auszugehen, dass die Hypothese eines „natürlichen“ Ursprungs eher zutrifft als etwa die Laborunfall-Hypothese. Untersuchungsergebnisse zur Genomstruktur von SARS-CoV-2 zeigen, dass das Virus sehr ähnlich zu derzeit immer noch zirkulierenden Coronaviren in Tieren ist. Die Evolutionshistorie in Tieren und die rasche Adaptation an den Menschen deuten eher auf eine natürliche Quelle hin. Hufeisennasen aus Kambodscha, Thailand, Japan und China, sowie malaiische Schuppentiere (Pangoline) tragen Coronaviren, die SARS-CoV-2 sehr ähnlich sind. Auch wenn sie nicht in einem direkten Verwandtschaftsverhältnis zu SARS-CoV-2 stehen, zeigt doch ihre Existenz, dass sich weitere Untersuchungen zur Übertragung vom Tier auf den Menschen nötig sind (Wu Z, Jin Q, Wu G, et al. SARS-CoV-2’s origin should be investigated worldwide for pandemic prevention. The Lancet. 2021; https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)02020-1)
Im September 2021 wurden Untersuchungsergebnisse angekündigt, die belegen sollen, dass Fledertiere (Hufeisennasen, Rhinolophus spp.) in Kalksteinhöhlen in Laos gefunden wurden, die (gleich mehrere) Coronaviren tragen, die SARS-CoV-2 sehr ähnlich sind. Diese Ergebnisse tragen ebenfalls dazu bei, die Hypothese zu untermauern, dass die Pandemie mit einer Übertragung des Virus von Fledertieren begann. Die Rezeptorbindungsdomänen von drei während dieser Untersuchung in den Hufeisennasen gefundenen Coronaviren sind ähnlicher zu SARS-CoV-2 als beispielsweise zum RaTG13 Virus, das in Rhinolophus
affinis in Minen in Yunnan gefunden wurden (bislang der engste Verwandte von SARS-CoV-2). Diese Ergebnisse zeigen, dass auch derzeit noch SARS-CoV-2 – ähnliche Coronaviren in Fledertieren existieren (Temmam S, Vongphayloth K, Salazar EB, et al. Coronaviruses with a SARS-CoV-2-like receptor-binding domain allowing ACE2-mediated entry into human cells isolated from bats of Indochinese peninsula. In Review/Nature Portfolio; 2021; doi: 10.21203/rs.3.rs-871965/v1).
Lediglich zwei neue Coronaviren (SARS und SARS-CoV-2) haben es in den letzten Jahrzehnten geschafft globale Beachtung zu erhalten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Zahlreiche Infektionen mit SARS-ähnlichen Viren erfolgen jährlich und bleiben wohl unentdeckt, da es nicht zu Outbreaks o.ä. kommt. Daher liegt wohl eine deutliche Untererfassung solcher Events vor. Dezidierte Untersuchungen hierzu könnten jedoch signifikant dazu beitragen, eine Einschätzung dazu zu treffen, wo auf diesem Planeten das nächste SARS – oder SARS-CoV-2 – ähnliche Virus auftreten wird (Sanchez CA, Li H, Phelps KL, et al. A strategy to assess spillover risk of bat SARS-related coronaviruses in Southeast Asia. medRxiv. 2021; https://doi.org/10.1101/2021.09.09.21263359).
Diese Berichte über sich anpassende Coronaviren, die von Tieren (Haustieren, Nutztieren, Wildtieren) zum Menschen gelangen und diesen auch infizieren, zeigen eindrucksvoll wie wichtig es ist, im Sinne des „One-Health“ – Ansatzes zu forschen. Auch die Diskussion über die Impfung für Haustiere werden solche sich häufenden Berichte anfachen.