Der Verlauf von COVID-19: Eine Frage der Immun­antwort

SARS-CoV-2 ist ein neues Virus, das auf eine in Gänze nicht-immune Population trifft. Antikörper oder T-Zellen, die den Erreger anhand seiner spezifischen Antigene bereits erkennen, sind bei den Infizierten nicht vorhanden, eine spezifische (adaptive) Immunantwort muss sich in jedem Einzelfall in der Auseinandersetzung mit dem Virus erst entwickeln. Die erste Abwehrstation der Immunabwehr bei solchen immunologisch naiven Individuen, die noch keinen Kontakt zum Erreger hatten, ist das sogenannte angeborene Immunsystem. Das ist neben dem adaptiven Immunsystem ein Teil des Immunsystems, der im Wesentlichen aus natürlichen Killerzellen, Makrophagen und neutrophilen Granulozyten besteht, deren Aktivierung keine spezifische Antigenerkennung voraussetzt. Die Aktivierung erfolgt vielmehr über angeborene Erkennungsmuster, sogenannte Pathogen-Associated Molecular Patterns (PAMPs), im Falle eines Coronavirus handelt es sich dabei um virale RNA-Bruchstücke, die von Toll-like Rezeptoren erkannt werden. Dadurch wird eine Signalkaskade in Gang gesetzt, in deren Zentrum Typ-I-Interferon steht. Diese führt letztlich zur Kontrolle des Virus.

Beide Teile des Immunsystems stehen miteinander in Verbindung. So fungieren Makrophagen als Antigen-präsentierende Zellen gegenüber den zum spezifischen Immunsystem gehörenden T-Zellen. Die Aktivierung des spezifischen Immunsystems kann über Botenstoffe (Interleukin 1ß) auch zur Mobilisierung von natürlichen Killerzellen, Makrophagen und Granulozyten, also den Komponenten des angeborenen Immunsystems, führen.

Wie SARS-CoV-2 und das Immunsystem interagieren, kann man möglicherweise aus den Erfahrungen mit SARS und MERS ableiten. In einem aktuellen Übersichtsartikel wurden die Erkenntnisse aus den SARS- und MERS-Epidemien insbesondere im Hinblick auf die Immunantwort sowie die möglichen Lehren daraus in Bezug auf COVID-19 dargestellt (Prompetchara et al., APJAI, 2020 [http://apjai-journal.org/wp-content/uploads/2020/03/1.pdf]). So weiß man, dass SARS-CoV und MERS-CoV in der Lage sind, die Typ-I-Interferon-vermittelte Signalkaskade zu supprimieren und zu verzögern und damit die Kontrolle des Virus in der frühen Phase der Infektion zu unterlaufen. Später kommt es dann zu einer überschießenden Reaktion mit einer starken Invasion von Monozyten/​Makrophagen und neutrophilen Granulozyten, die zu der überschießenden Entzündungsreaktion beitragen, die Grundlage des ARDS ist. Man kann annehmen, dass aufgrund der Verwandtschaft der Viren bei der SARS-CoV-2-Infektion ähnliche Mechanismen greifen.

Gibt es eine vorbestehende Immunantwort gegen SARS-CoV-2?

Die Frage, warum die Infektion mit dem SARS-CoV-2 bei verschiedenen Individuen so unterschiedlich verläuft, ist noch nicht abschließend geklärt. Viele mögliche Einflussfaktoren wurden genannt: die Infektionsdosis, die Eintrittspforte des Virus, die Reaktivität des angeborenen Immunsystems, die Zahl der ACE-2-Rezeptoren auf der Zelloberfläche, um nur einige Beispiele zu nennen. Von Anfang an stellte sich auch die Frage, ob etwa eine vorangegangene Infektion mit einem der vier hierzulande endemischen Coronavirus-Typen, die gewöhnlich harmlose Erkältungskrankheiten auslösen, aufgrund der genetischen Verwandtschaft mit dem SARS-CoV-2 eine Art Kreuzimmunität bewirken könnte. Der Antwort ist man jetzt näher gekommen. Mitch Leslie fasste die neuen Erkenntnisse in einem News-Beitrag in Science zusammen (https://science.sciencemag.org/content/368/6493/809.full). Ein Forscherteam am La Jolla Institut für Immunologie testete T-Zellen von COVID-19-Patienten auf Reaktivität gegen in silico vorhergesagte und künstlich hergestellte T-Zell-Epitope von SARS-CoV-2. Alle Patienten hatten T-Helferzellen, die das SARS-CoV-2-Spike-Protein erkannten, aber auch andere SARS-CoV-2-Bestandteile wurden erkannt. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Berliner Arbeitsgruppe. Die Befunde sprechen dafür, dass eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 eine langdauernde Immunantwort mit einem immunologischen Gedächtnis in Form von spezifischen T-Helferzellen ausbildet. Dies ist noch kein Beweis dafür, dass die Immunantwort das Virus auch erfolgreich neutralisiert, aber immerhin ein Indiz für den Erfolg künftiger Impfstoffe. Beide Teams gingen auch der Frage nach, ob Personen, die nicht mit SARS-CoV-2 infiziert waren, möglicherweise T-Zellen haben, die Bestandteile von SARS-CoV-2 erkennen. Die Berliner Gruppe analysierte dazu das Blut von 68 Personen und fand bei 34 % von ihnen T-Helferzellen, die SARS-CoV-2-Epitope erkannten. Das Team aus La Jolla fand sogar in der Hälfte der analysierten Blutproben, die bereits lange vor dem Ausbruch der Pandemie gesammelt worden waren, SARS-CoV-2-reaktive T-Zellen. Man nimmt an, dass diese aus früheren Infektionen mit anderen Coronaviren stammen. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass diese kreuzreaktive Immunantwort in der Lage ist, SARS-CoV-2 zu neutralisieren oder den Verlauf der Infektion abzumildern. Dennoch kann es sich hier um einen Faktor handeln, der erklärt, warum einige Menschen besser mit dem Virus zurechtkommen als andere.

Aus der zentralen Rolle der Immunantwort bei einer SARS-CoV-2-Infektion kann man durchaus allgemein schlussfolgern, dass Maßnahmen zur Stärkung und Aktivierung des Immunsystems einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung haben könnten. Die nachfolgend genannten Einflussfaktoren kann man dabei diskutieren.