Auf dieser Seite geben wir einen Überblick über die Forschungs- und Entwicklungs-Pipeline bei den antiviralen Substanzen gegen SARS-CoV-2 und gehen auf die vielversprechendsten Kandidaten-Substanzen etwas detaillierter ein. Die Ergebnisse der laufenden klinischen Studien werden wir in Form von Updates ergänzen.
Hydroxychloroquin
Eine Substanz, die zu Beginn der Pandemie große Aufmerksamkeit gefunden hatte, ist das seit Jahrzehnten bekannte Malariamittel Chloroquin bzw. sein Derivat Hydroxychloroquin, das ein besseres Wirkungs-/Toxizitäts-Profil hat. Für beide Substanzen gab es zunächst Berichte aus China über die Wirksamkeit bei kleineren Fallzahlen. In Südkorea, das bisher die geringste Letalität von COVID-19 berichtet hat, war das Medikament allgemein empfohlen worden. In-vitro-Daten (Wang et al., Cell Research, 2020 [https://www.nature.com/articles/s41422-020-0282-0]) zeigen, dass Chloroquin das neue Coronavirus SARS-CoV-2 tatsächlich effektiv hemmt. Mehrere Wirkungsmechanismen werden diskutiert. Hydroxychloroquin ist ein Ionophor, das die Konzentration von Zink in Zellen erhöht. Zink wiederum ist ein effektiver Inhibitor der viralen RNA-Polymerase. Außerdem erhöht die Substanz den pH-Wert der Endosomen, mit denen das Virus in die Zelle eingeschleust wird und inhibiert damit die Freisetzung des Virus in das Cytoplasma. Schließlich wird auch eine Interaktion mit den zellulären Rezeptoren des SARS-CoV diskutiert. In Europa war es der französische Mikrobiologe und Infektionsmediziner Didier Raoult, der erste Daten geliefert hatte, die eine klinische Wirksamkeit von Hydroxychloroquin in Kombination mit Azithromycin nahelegten (Million et al., Travel Med. Infect. Dis., 2020 [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7199729/]). Seine Studiendaten zeigten ferner, dass die Wirksamkeit am größten zu sein schien, je früher im Infektionsverlauf die Substanzen eingesetzt wurden. Da das Medikament in Tablettenform gegeben wird, kann es theoretisch bereits im frühesten Stadium der Infektion bei ambulant betreuten Patienten eingesetzt werden. Einige ernste Kritikpunkte, u.a. der Ausschluss bestimmter Patienten aus der statistischen Auswertung, nährten jedoch die Skepsis an der Belastbarkeit der Studienergebnisse. Die amerikanische FDA hatte zwischenzeitlich den Einsatz von Hydroxychloroquin unter bestimmten Rahmenbedingungen bei hospitalisierten Patienten zugelassen. Mehrere amerikanische Fachgesellschaften hatten sich in Briefen an US-Präsident Trump dafür eingesetzt, eine Verwendung der Substanz zu ermöglichen. Als dieser in einer Pressekonferenz den möglichen Nutzen von Hydroxychloroquin anpries, setzte in den USA, aber auch weltweit ein Run auf die vorhandenen Präparate mit diesem Wirkstoff ein. Auch über Vergiftungen und Todesfälle im Rahmen von Selbsttherapien wurde daraufhin berichtet. Hydroxychloroquin kann in seltenen Fällen schwerwiegende Herzrhythmusstörungen auslösen, ist aber insgesamt eine bewährte und millionenfach eingesetzte Substanz. In mehreren Ländern wurden klinische Studien zur Wirksamkeit des Hydroxychloroquin (HCQ) bei COVID-19-Patienten initiiert. Jedoch entzündete sich in der Zwischenzeit ein regelrechter Wissenschaftsstreit an den Ergebnissen sich widersprechender Beobachtungsstudien. So sorgte zum Beispiel die von Magagnoli et al. mit dem Titel „Outcomes of hydroxychloroquine usage in United States veterans hospitalized with Covid-19“ veröffentlichte Studie (Magagnoli et al., Med, 2020 [https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666634020300064]) bereits im Stadium der Vorveröffentlichung für Schlagzeilen auf fast allen größeren Nachrichtenkanälen. Es handelt sich um eine retrospektive Auswertung von Datensätzen von insgesamt 368 Patienten, die in verschiedenen Krankenhäusern der U.S. Veterans Health Administration mit Hydroxychloroquin, Hydroxychloroquin + Azithromycin oder ohne Hydroxychloroquin behandelt wurden. Im Ergebnis fanden die Autoren keine Evidenz dafür, dass die Gabe von Hydroxychloroquin mit oder ohne Azithromycin bei hospitalisierten COVID-19-Patienten einen Nutzen hat. Im Gegenteil: Bei Patienten, die nur mit Hydroxychloroquin behandelt wurden, fanden sie sogar eine erhöhte Letalität. Die Studie vergleicht Patienten aus mehreren Krankenhäusern retrospektiv. Es gab für die Behandlung kein vorab festgelegtes einheitliches Therapieregime, die Dosen, mit denen behandelt wurde, sind in der Arbeit nicht angegeben. Die verglichenen Gruppen sind nicht gematcht, d. h. ihre Zusammensetzung ist im Hinblick auf Schlüsselparameter heterogen. So scheinen ausweislich der klinischen Parameter diejenigen Patienten, die kein Hydroxychloroquin erhalten hatten, in einem wesentlich besseren klinischen Gesamtzustand gewesen zu sein als die Therapierten. Die Studie sagt auch nichts darüber aus, ob Hydroxychloroquin, wenn es in einem sehr frühen Stadium der Infektion verabreicht wird, einen Effekt haben kann oder nicht, denn es wurden nur Patienten behandelt, die aufgrund ihrer Symptomatik hospitalisiert worden waren.
Im Rahmen einer im British Medical Journal veröffentlichten multizentrischen Studie mit 150 COVID-19-Patienten wurde die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin in einem randomisierten, kontrollierten Ansatz getestet (Wie Tang et al., BMJ, 2020 [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7221473/]). 148 davon hatten einen milden bis mäßigen Verlauf, 2 einen schweren. 75 Patienten erhielten Hydroxychloroquin (ohne Azithromycin) über 2-3 Wochen, die weiteren 75 Patienten erhielten nur die Standardbehandlung. Die Patienten hatten im Durchschnitt bei Therapiebeginn bereits einen Vorlauf von 16 Tagen seit Symptombeginn gehabt. Endpunkt war das Erreichen einer Negativ-Konversion der PCR bis zum Tag 28 nach Behandlungsbeginn. Die mit Hydroxychloroquin Behandelten konvertierten nicht signifikant häufiger als die Patienten in der Kontrollgruppe. Diejenigen, die vor Tag 28 konvertierten, taten dies nicht signifikant früher als die Patienten der Kontrollgruppe. Es handelte sich dabei um die erste randomisierte Studie zu Hydroxychloroquin bei COVID-19. Zwar kann man auch hier Kritikpunkte am Studiendesign anmelden (Patienten hatten schon einen sehr langen Vorlauf und trotzdem nur überwiegend milde Symptome, entsprachen damit nicht einem klassischen Durchschnitts-Kollektiv an COVID-19-Patienten; keine Kombination mit Azithromycin oder Azithromycin + Zink), dennoch senkte sich für Hydroxychloroquin immer mehr der Daumen, denn die Evidenz für die fehlende Wirksamkeit wurde immer größer. Zumal in der gleichen Ausgabe des British Medical Journal eine weitere vergleichende Beobachtungsstudie (mit Kontrollgruppe) veröffentlicht wurde, die Hydroxychloroquin keine Wirksamkeit bescheinigt. Bei dem Patientenkollektiv (n=181; Hydroxychloroquin-Gruppe n=84; Kontrollgruppe n=89) handelte es sich um schwerere Verläufe, die eine Sauerstoff-Therapie, jedoch zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Studie noch keine Intensivbehandlung benötigten. Sowohl im Hinblick auf die Gesamt-Überlebensrate sowie die Überlebensrate mit oder ohne Intensivbehandlungspflicht oder das Ende der Sauerstoffabhängigkeit ergaben sich auch in dieser Studie keine signifikanten Unterschiede zwischen der Hydroxychloroquin-Gruppe und der Standardtherapie-Gruppe (Mahévas et al., BMJ, 2020 [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7221472/]).
Nachdem die WHO bereits den Hydroxychloroquin-Arm der Solidarity-Studie gestoppt hatte und auch die groß angelegte RECOVERY-Studie den betreffenden Studienarm wegen fehlender Wirksamkeit nicht fortführte, überraschte dann eine Anfang August 2020 im International Journal of Infectious Diseases veröffentlichte Studie aus dem Henry-Ford-Gesundheitssystem mit dem Ergebnis, dass Hydroxychloroquin (HCQ) allein oder in Kombination mit Azithromycin (HCQ+AZT) die Sterblichkeit bei hospitalisierten COVID-19-Patienten signifikant senken könne (Arshad et al., International Journal of Infectious Diseases, 2020 [https://www.ijidonline.com/article/S1201-9712(20)30534-8/fulltext]). Es handelte sich um eine vergleichende retrospektive Kohortenstudie, die in den sechs Hospitälern des Henry-Ford-Gesundheitssystems durchgeführt wurde und insgesamt 2.541 Patienten umfasste. Die mit Hydroxychloroquin behandelten Patienten erhielten das Medikament zeitnah nach Krankenhausaufnahme. Die Autoren berichteten für die verschiedenen Behandlungs-Gruppen folgende Mortalität: HCQ + AZT:20,1 %, HCQ: 13,5 %, AZT 22,4 %, keines der Medikamente: 26,4 %. Die Unterschiede waren statistisch signifikant.
Obwohl die Behandlungsgruppen nach den Schlüsselkriterien vergleichbar waren und sich die statistische Signifikanz auch in einer perfekt gematchten Subgruppe (HCQ vs. kein HCQ) verifizieren ließ, bleibt bei der Interpretation der Ergebnisse Vorsicht angezeigt, denn die Studie war nicht randomisiert, retrospektiv angelegt und nicht verblindet.
Einnahme von Hydroxychloroquin als Postexpositionsprophylaxe nicht besser als Placebo (hinzugefügt am 05.06.2020)
Nachdem die therapeutische Wirksamkeit von Hydroxychloroquin in randomisierten Studien nicht belegbar war, stand noch immer die Frage im Raum, ob die Substanz eventuell als Prophylaxe geeignet sei, um nach einer Risikoexposition die Erkrankung an COVID-19 zu verhindern. Zu dieser Fragestellung wurde im August 2020 im New England Journal of Medicine eine randomisierte, Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie veröffentlicht (Boulware et al., New England Journal of Medicine, 2020 [https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2016638?query=featured_home]). Probanden waren insgesamt 821 Personen, die in ganz Nordamerika und Kanada rekrutiert worden waren, und die ungeschützte Risikokontakte zu laborbestätigten COVID-19-Patienten hatten (z. B. Haushaltskontakte, Krankenhauskontakte). Diese erhielten innerhalb von 4 Tagen nach der Exposition nach einem Zufallsalgorithmus entweder Hydroxychloroquin (800mg + 600mg am Tag 1, je 600mg an den Tagen 2-5) oder ein Placebo verabreicht. Endpunkt war das Auftreten einer laborbestätigten oder den Fallkriterien entsprechenden COVID-19-Symptomatik. Beide Gruppen waren in ihren demographischen und klinischen Daten vergleichbar. Insgesamt erkrankten 107 Probanden an einer COVID-19-kompatiblen Symptomatik. In der Hydroxychloroquin-Gruppe erkrankten 11,8 % der Probanden, in der Kontrollgruppe 14,3 %. Die Differenz war statistisch nicht signifikant. Die Autoren schlussfolgern, dass Hydroxychloroquin bei frühzeitiger Gabe nach einem Risikokontakt den Ausbruch der Infektion nicht verhindern kann. Eine Schwäche der Studie ist es, dass aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Labortests in den USA zum Zeitpunkt der Durchführung der Studie die meisten der aufgetretenen COVID-19-Fälle nicht laborbestätigt wurden.
Konzentrationen von Lopinavir und Hydroxychloroquin in der Lunge wohl nicht ausreichend (hinzugefügt am 12.07.2020)
Eine in Antimicrobials and Chemotherapy veröffentlichte Schweizer Studie von (Marzolini et al., Antimicrob Agents Chemoth, 2020 [https://aac.asm.org/content/early/2020/07/07/AAC.01177-20]) legt nahe, dass die mit Lopinavir (Proteasehemmer, der in der HIV-Therapie eingesetzt wird) und Hydroxychloroquin in der Lunge erreichbaren Wirkspiegel deutlich unterhalb der für SARS-CoV-2 benötigten EC50 (50% effektive Dosis) liegen, und daher vermutlich keine ausreichend wirksamen Konzentrationen der Substanzen in der Lunge erreicht werden.
Hydroxychloroquin zeigt in der WHO Solidarity-Studie keine Wirksamkeit (hinzugefügt am 23.05.2021). Die im Februar 2021 im New England Journal of Medicine veröffentlichten Ergebnisse der WHO-Solidarity-Studie zu mehreren Wirkstoffen zeigten auch für Hydroxychloroquin keinerlei Wirksamkeit. Zu den Details der Studie siehe am Ende des Kapitels zu Remdesivir.
Remdesivir
Hierbei handelt es sich um eine antivirale Substanz, die ursprünglich gegen das Ebola-Virus entwickelt worden war, und zwar ein Nukleosid-Analogon, das durch die virale RNA-Polymerase, ein Enzym, das für die Vermehrung des Virus essenziell ist, in die virale RNA eingebaut wird und zu einem Stopp der Kettenverlängerung führt. Die Substanz ist gegen mehrere Virusarten, u.a. das MERS-CoV (Gordon et al., Journal of Biological Chemistry, 2020 [https://www.jbc.org/content/295/15/4773.short]), in vitro wirksam, hat aber in klinischen Studien gegen das Ebola-Virus enttäuscht. Ein Vorteil bei Remdesivir besteht darin, dass klinische Phase-1-Studien aus der Vergangenheit bereits vorliegen und somit lediglich noch Phase-2 und -3- Studien vor einer möglichen Zulassung erforderlich wären. Die In-vitro-Wirksamkeit von Remdesivir gegen SARS-CoV-2 ist nachgewiesen (Wang et al., Cell Research, 2020 [https://www.nature.com/articles/s41422-020-0282-0; Gordon et al., Journal of Biological Chemistry, 2020 [https://www.jbc.org/content/295/20/6785.short], darüber hinaus gibt es vielversprechende Daten zur Wirksamkeit bei COVID-19 aus kleineren nicht randomisierten klinischen Studien in China. Erste Ergebnisse mehrerer laufender randomisierter klinischer Studien werden bereits im späten Frühjahr 2020 erwartet. Sollte sich die Substanz als wirksam erweisen, wird sich die Frage der Produktionskapazität stellen. Remdesivir wird allerdings parenteral eingesetzt und ist damit wohl nur für stationär behandelte Patienten geeignet. Einige Länder haben bei der Europäischen Arzneimittelagentur eine Empfehlung für den Einsatz von Remdesivir im sogenannten „Compassionate Use“ erbeten, das ist der Einsatz eines noch nicht zugelassenen Medikaments im Rahmen des Härtefallprogramms. Inzwischen hat der Hersteller Gilead aber den Zugang zu der Substanz wegen erhöhter Nachfrage gesperrt.
Erste optimistische Einblicke in die laufenden klinischen Studien (hinzugefügt am 20.04.2020)
Auf der US-Medienseite STAT, die von Boston Globe Media produziert wird, und sich auf Stories aus dem Bereich Gesundheit, Medizin und wissenschaftliche Forschung und Entwicklung spezialisiert hat, findet sich am 16.04.2020 ein hochinteressanter Beitrag über die an der Chicagoer Universitätsklinik laufende klinische Studie mit Gileads Remdesivir (https://www.statnews.com/2020/04/16/early-peek-at-data-on-gilead-coronavirus-drug-suggests-patients-are-responding-to-treatment/). Ähnliche Studien mit insgesamt 2400 Patienten laufen an insgesamt 152 Einrichtungen. Verglichen werden Behandlungsschemata über 5 Tage und 10 Tage. Es gibt allerdings keine Kontrollgruppe, was die Interpretation der Daten erschweren könnte. Ergebnisse wurden bisher nicht veröffentlicht, werden jedoch mit großer Spannung erwartet. Offensichtlich ist es STAT gelungen an die Aufzeichnung einer Videokonferenz heranzukommen, bei der es um die Besprechung der Zwischenergebnisse der Studie zwischen den Projektverantwortlichen und anderen Fakultätsmitgliedern ging. 125 Patienten waren in diese Phase-III-Studie aufgenommen worden, darunter 113 schwer erkrankte Patienten. Alle Patienten wurden mit täglichen Infusionen von Remdesivir behandelt. Laut einer Konferenz-Teilnehmerin, die die Studie überblickt, seien die meisten Patienten inzwischen entlassen, nur zwei von ihnen habe man verloren. Das Fieber verschwinde in der Regel bereits einen Tag nach Beginn der Therapie. Beatmete Patienten hätten teilweise bereits einen Tag nach dem Therapiestart extubiert werden können. Die meisten hätten bereits nach sechs Tagen das Krankenhaus verlassen können. Die Daten weisen insbesondere angesichts der Tatsache, dass es sich um schwer kranke Patienten handelte, sehr deutlich auf die Wirksamkeit von Remdesivir hin. Gleichwohl handelt es sich hier nicht um offizielle Studienergebnisse, über den Verlauf der anderen Anteile der Gilead-Phase-III-Studie zu Remdesivir ist bisher nichts bekannt. Überdies handelt es sich nicht um eine kontrollierte Studie, daher sind die Ergebnisse mit der gebotenen Vorsicht zu interpretieren. Dennoch gibt dieser Bericht großen Anlass zur Hoffnung. Laut STAT kommentierte ein von einem schweren Verlauf genesener Studienteilnehmer: „Mein Fieber fiel beinahe sofort und ich fühlte mich besser. Remdesivir war ein Wunder.“
Erste Daten aus klinischen Studien zu Remdesivir veröffentlicht (hinzugefügt am 02.05.2020)
Mit großer Hoffnung und Spannung werden die Daten aus den laufenden klinischen Studien zu Remdesivir erwartet. Wir hatten bereits über inoffizielle Zwischenergebnisse einer Teilstudie berichtet. Worauf es aber letztlich bei den Therapie-Studien ankommt, sind belastbare Daten aus randomisierten klinischen Studien. Nun liegen erste Veröffentlichungen vor, aber die Datenlage ist nicht ganz so eindeutig, wie man es sich gewünscht hätte. Es gibt vielmehr widersprüchliche Ergebnisse aus zwei Studien.
Die erste Studie stammt aus Hubei und wurde am 29.4. in Lancet veröffentlicht (Yeming Wang et al., The Lancet, 2020 [https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)31022-9/fulltext]).
In einem Placebo-kontrollierten doppelblinden Ansatz nahmen an mehreren Zentren insgesamt 237 Patienten an der Studie teil (158 Remdesivir-Gruppe, 79 Placebo-Gruppe). Alle hatten eine laborbestätigte SARS-CoV-2-Infektion und eine radiologisch nachgewiesene Pneumonie. Die Autoren fanden in diesem Kollektiv keine statistisch signifikanten klinischen Vorteile bei Patienten, die mit Remdesivir behandelt wurden, hinsichtlich der Zeit bis zur klinischen Besserung (Remdesivir-Gruppe 21 Tage, Placebo-Gruppe 23 Tage) bzw. der Letalität (Remdesivir-Gruppe 14 %, Placebo-Gruppe 13 %). Zwar reduzierte sich die Zeitdauer bis zur klinischen Besserung bei Patienten mit einer Symptomdauer von 10 oder weniger Tagen, jedoch war auch dieser Befund nicht statistisch signifikant.
Am gleichen Tag veröffentlichte das NIH auf seiner Webseite vorläufige Daten aus seiner Studie mit der Bezeichnung „Adaptive COVID-19 Treatment Trial (ACTT)“ (https://www.drugs.com/clinical_trials/gilead-s-investigational-antiviral-remdesivir-receives-u-s-food-administration-emergency-18553.html). An dieser Placebo-kontrollierten Studie nehmen 1063 Patienten teil. Bei einem routinemäßigen Monitoring eines unabhängigen „Data and Safety Monitoring Board“ wurden signifikante Vorteile der Remdesivir-Gruppe im Hinblick auf das Kriterium „Zeit bis zur klinischen Besserung (Entlassung aus dem Krankenhaus oder Wiederaufnahme der normalen Aktivitäten)“ festgestellt, was dann aus ethischen Gründen zur Aufgabe des Placebo-Arms der Studie führte. Die mit Remdesivir behandelten Patienten erholten sich im Mittel um 31 % schneller (11 Tage vs. 15 Tage) als die Patienten in der Placebo-Gruppe, was statistisch hochsignifikant war (p<0.001). Die Remdesivir-Gruppe zeigte im Vergleich zur Placebo-Gruppe tendenziell eine geringere Mortalität (8,0 % vs. 11,6 %), was statistisch nicht signifikant war (p<0,059). Diese Ergebnisse führten schließlich in einem Schnellverfahren zu einer „Emergency Use Authorization“ der FDA für Remdesivir. Das Mittel darf ab sofort bei schwer kranken Patienten eingesetzt werden. Die US-Regierung hat Verhandlungen mit dem Hersteller Gilead aufgenommen um die ausreichende Produktion von Remdesivir und die Versorgung der Krankenhäuser mit dem Mittel sicherzustellen. Nach der „Emergency Use Authorization“ der FDA hat auch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA einen breiteren Einsatz von Remdesivir beim „Compassionate Use“ (Härtefallprogramm) autorisiert. Zusätzlich wurde die Behandlungsdauer auf fünf Tage verkürzt, wodurch mehr COVID-19-Erkrankte das weltweit stark gefragte Corona-Arzneimittel erhalten können. Der Einsatz darf aber nur bei COVID-19-Patienten erfolgen, die eine invasive maschinelle Beatmung benötigen. Diese haben eine besonders niedrige Überlebenschance.
Noch ist angesichts widersprüchlicher Studiendaten Skepsis angezeigt, ob Remdesivir wirklich einen Durchbruch bei der Behandlung schwerkranker COVID-19-Patienten bringt. Fest steht, dass es bei solchen Patienten keine Wunder vollbringen kann, denn auch von den Remdesivir-behandelten Patienten stirbt ein nicht unerheblicher Anteil. Weitere Studienergebnisse werden zeigen müssen, ob mit einem Einsatz des Mittels zu einem früheren Zeitpunkt im Krankheitsverlauf größere Vorteile im Behandlungsergebnis erzielt werden können.
Remdesivir wirkt – aber nicht bei jedem (hinzugefügt am 04.06.2020)
Im New England Journal of Medicine berichteten Beigel et al. (https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2007764) kürzlich im Rahmen eines „Preliminary Report“ über ihre randomisierte, Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie zum Einsatz von Remdesivir bei COVID-19-Patienten mit Krankheitsmanifestationen im unteren Respirationstrakt. Insgesamt wurden 1.069 Patienten in die Studie einbezogen. Die Entblindung erfolgte vorzeitig, da ein unabhängiges Monitoring-Board signifikante Vorteile der Remdesivir-Gruppe im Hinblick auf die mittlere Zeitdauer bis zur Genesung beobachtet hatte. Die veröffentlichten vorläufigen Daten (Studie läuft noch) bezogen sich auf 1.059 Patienten (538 in der Remdesivir-Gruppe, 521 in der Placebo-Gruppe). Bei der Remdesivir-Gruppe betrug die mittlere Zeitdauer bis zur Genesung 11 Tage, bei der Kontrollgruppe 15 Tage. Die Remdesivir-Gruppe hatte am Tag 15 einen signifikant besseren mittleren Krankheits-Score als die Kontrollgruppe. Die Letalität zum Zeitpunkt 14 Tage nach Behandlungsbeginn betrug 7,1 % für die Remdesivir-Gruppe vs. 11,9 % für die Kontrollgruppe. Allerdings profitierten nicht alle Subgruppen gleichermaßen von der Anwendung der Substanz. So war die Unterschied zwischen der Remdesivir-Gruppe und der Kontrollgruppe am größten bei Patienten, die eine Sauerstoff-Behandlung bekamen, aber noch nicht mechanisch beatmet wurden und am geringsten bei den Patienten, die sich bereits unter mechanischer Beatmung befanden. Da die Substanz gegenwärtig nur in sehr begrenzten Mengen verfügbar ist und im Rahmen des Härtefall-Einsatzes möglicherweise nur für bei den am schwersten erkrankten Patienten angewendet wird, ist es ein wichtiger Hinweis, dass der Einsatz von Remdesivir nach diesen Ergebnissen am erfolgversprechendsten bei Patienten ist, die sich noch nicht in der mechanischen Beatmung befinden.
Die Studie zeigt aber auch anhand der noch relativ hohen Letalität in der Remdesivir-Gruppe, dass voraussichtlich ein einzelnes Virostatikum wohl nicht ausreichen wird, um tödliche Verläufe bei COVID-19 zu verhindern.
Remdesivir zeigt in der WHO Solidarity-Studie keine Wirksamkeit (hinzugefügt am 23.05.2021). Die im Februar 2021 im New England Journal of Medicine veröffentlichten Ergebnisse der WHO-Solidarity-Studie zu mehreren Wirkstoffen (Remdesivir, Hydroxychloroquin, Lopinavir und Interferon beta) zeigten für Remdesivir (wie für die übrigen getesteten Substanzen) keine Wirksamkeit. Es handelte sich hierbei um eine von der Weltgesundheitsorganisation initiierte internationale multizentrische, randomisierte Studie an hospitalisierten COVID-19-Patienten, an der sich 405 Krankenhäuser in 30 Ländern beteiligten. Die mit Remdesivir behandelte Gruppe umfasste 2750 Patienten, die Kontrollgruppe 2708 Patienten. Remdesivir konnte weder die Todesfallrate signifikant reduzieren, noch hatte es einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Krankenhausverweildauer oder auf den Zeitpunkt oder das Erfordernis einer mechanischen Beatmung. An der Studie kann man kritisieren, dass keine Verblindung stattfand und in der Kontrollgruppe kein Placebo eingesetzt wurde, sondern eine Alternativtherapie.
Favipiravir
Auch bei Favipiravir handelt es sich um ein Nukleosid-Analogon, das in Japan gegen die Influenza entwickelt wurde und dort unter dem Namen Avigan® in Tablettenform und als intravenöse Darreichungsform im Handel ist. Auch hier gibt es bisher keine Daten aus randomisierten klinischen Studien. Berichten aus China zufolge soll das Mittel bei COVID-19-Patienten eindeutig wirksam sein. Es gibt aber auch widersprechende Berichte, wonach sich Favipiravir bei Patienten mit schwereren Verläufen als nicht wirksam erwiesen hat. Auch in vitro zeigt Favipiravir gegen das SARS-CoV-2 kaum einen Effekt. Überdies werden schwerwiegende Nebenwirkungen berichtet.
Ivermectin
Neu im Reigen der potenziell wirksamen Repurposing-Kandidaten ist Ivermectin, ein zugelassenes und gut verträgliches Mittel zur Behandlung parasitärer Infektionen. Es wird gegen Ektoparasiten (wie Krätzemilben) aber auch gegen Endoparasiten (wie Würmer) eingesetzt. Gemäß einer Studie einer australischen Gruppe weist es in vitro eine hohe Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 auf (Caly et al., Antiviral Research, 2020 [https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0166354220302011]). Bereits eine einzige Dosis konnte in virusinfizierten Zellkulturen binnen 48 Stunden die Menge gebildeter viraler RNA um 99,98 % reduzieren. Ivermectin hemmt das sogenannte Importin α/β1, das für den Transport zellulärer und viraler Proteine in den Zellkern verantwortlich ist. Vorsicht ist auch hier angezeigt, was Rückschlüsse auf eine mögliche klinische Wirksamkeit angeht, denn Ivermectin zeigt in vitro auch gegenüber anderen Viren Wirksamkeit, zum Beispiel Dengueviren, hat aber in einer klinischen Phase-III-Studie bei Dengue-Patienten in Thailand keinerlei klinischen Benefit entfaltet.
Proteasehemmer
Die genomische Information für die Proteine von SARS-CoV-2 wird in infizierten Zellen zunächst in sogenannte Polyproteine umgeschrieben, d. h. lange Aminosäureketten, die aus mehreren, aneinandergefügten Proteinen bestehen. Diese werden durch eine Protease (Main Protease Mpro), ein Enzym, das wie eine Schere Eiweiße an spezifischen Stellen schneidet, in die Einzelproteine zerlegt. Findet dieser Schritt nicht statt, kann kein funktionales neues Virus entstehen. Proteasehemmer setzen an dieser Stelle. Sie verbinden sich mit der Protease und behindern so die Zerlegung der Polyproteine. Bei der Hepatitis C, aber auch bei der HIV-Infektion werden Proteasehemmer erfolgreich als Therapeutika eingesetzt. Mit solchen Substanzen liegen daher bereits reichlich Erfahrungen vor, und sie bieten den Vorteil der vergleichsweise guten Verträglichkeit. Schon früh im Pandemie-Verlauf zeigten In-vitro-Studien das Potenzial verschiedener Wirkstoffe im Hinblick auf eine effektive Hemmung der viralen Main Protease (Boceprevir, GC-376, and calpain inhibitors II, XII inhibit SARS-CoV-2 viral replication by targeting the viral main protease (nih.gov)). Die Entwicklung von Proteasehemmstoffen schien daher als erfolgversprechender Ansatz in der antiviralen Strategie gegen SARS-CoV-2. Der ursprünglich gegen HIV entwickelte und im Rahmen des Re-Purposing getestete Proteasehemmer Lopinavir zeigte allerdings trotz eines Hemmeffektes in der Zellkultur in der RECOVERY-Studie keine Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2.
Mit PF-07321332 hat Pfizer einen Proteasehemmer in der Entwicklung, der in präklinischen Studien eine gute Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 zeigte. In den USA läuft bereits eine Phase-1-Studie zur Testung verschiedener Dosierungsregime sowie der Verträglichkeit des Präparats. Erste Daten sollen demnächst auf einer Fachtagung präsentiert werden. Das Präparat soll in der frühen Phase einer COVID-Infektion in Tablettenform angewendet werden und schwere Verläufe verhindern. Gleichzeitig entwickelt Pfizer unter der Bezeichnung PF-07304814 einen Protease-Inhibitor zur intravenösen Anwendung.
AT-527
SARS-CoV-2 benutzt wie andere RNA-Viren ein auf seinem Genom kodierte RNA-abhängige RNA-Polymerase, um das eigene RNA-Genom in den infizierten Zellen zu vervielfältigen. Ohne diese Funktionalität ist die Virusvermehrung in den Zielzellen des menschlichen Organismus nicht möglich. Das Enzym ist daher ein Zielmolekül der Entwicklung von antiviralen Wirkstoffen, was bei anderen viralen Infektionen durch RNA-Viren (z. B. Hepatitis C, HIV-Infektion, Influenza) bereits zu zugelassenen Produkten geführt hat. Das Prinzip der Hemmstoffe beruht auf einer Bindung an die RNA-Polymerase, z. B. in Form modifizierter Nukleoside, die durch das Enzym in den neu synthetisierten viralen RNA-Strang eingebaut werden und dort zum Kettenabbruch führen. Zu diesen modifizierten Nukleosiden gehören auch die bereits vorgestellten Wirkstoffe Remdesivir und Favipiravir.
Das von Atea Pharmaceuticals und Roche ursprünglich für die Hepatitis-C-Infektion entwickelte AT-527, erwies sich in vitro als starker Inhibitor des SARS-CoV-2 (AT-527 is a potent in vitro replication inhibitor of SARS-CoV-2, the virus responsible for the COVID-19 pandemic (biorxiv.org)) und wird nun in klinischen Prüfungen auf seine Wirksamkeit bei der SARS-CoV-2-Infektion untersucht. Es handelt sich bei AT-527 um eine pharmakologisch inaktive Form eines Guanosin-Nukleosid-Analogons, das erst in der Leber in seine aktive Form umgewandelt wird. Das Präparat kann oral in Tablettenform verabreicht werden. In einer kleineren Studie bei COVID-19-Patienten sowie in klinischen Prüfungen bei Hepatitis-C-Patienten zeigte das Präparat eine gute Verträglichkeit. Die Wirksamkeit wird in bereits laufenden Phase-2-Studien getestet. Ziel ist die Entwicklung eines Präparats, das in der Frühphase von COVID-19 verabreicht werden kann und die Weiterentwicklung der Erkrankung zu schweren Verläufen verhindert. Da die virale RNA-Polymerase phylogenetisch hoch konserviert ist, könnte im Falle der klinischen Wirksamkeit auch mit einer breiten Erfassung der gegenwärtig zirkulierenden Mutanten gerechnet werden. Roche hat in Verlautbarungen in Aussicht gestellt, bei erfolgreichem Verlauf der klinischen Studien bereits im Herbst 2021 seine „Corona-Pille“ marktreif entwickelt zu haben.
Molnupiravir
Zur gleichen Substanzklasse wie AT-527 (Nukleosidanaloga) gehört auch Molnupiravir, ein antiviraler Wirkstoff, der ursprünglich zur Behandlung der Influenza entwickelt wurde. Es handelt sich um eine inaktive Vorstufe des synthetischen Nukeosidderivats N4-Hydroxycytidin, das durch Verstoffwechselung im Körper in die aktive Form überführt wird. Es wird durch die RNA-Polymerase in die virale RNA eingebaut und führt dort zu Kopierfehlern bei der RNA-Replikation. Nachdem das Präparat in der Zellkultur und auch im Tierversuch eine Hemmwirkung gegen SARS-CoV-2 gezeigt hatte, läuft unter der Federführung des Pharmakonzerns Merck (MSD) in Zusammenarbeit mit Ridgeback Pharmaceuticals seit Oktober 2020 eine Placebo-kontrollierte klinische Studie der Phase-II/III zur Testung der Wirksamkeit am Patienten. Molnupiravir wird in Tablettenform verabreicht und könnte – so die Hoffnungen – im Falle erwiesener Wirksamkeit bereits in der frühen Phase einer COVID-Infektion eingesetzt werden, um die Krankheitsprogression zu unterbrechen. Die noch laufende Studie, deren Ergebnisse im September 2021 verfügbar sein sollen, ist in zwei Teile gegliedert, die als MOVE-IN für bereits hospitalisierte Patienten und MOVE-OUT für ambulante (nicht-hospitalisierte) Patienten bezeichnet werden. Am 15. April 2021 hat der Konzern verlautbart, dass die Phase III der MOVE-IN-Studie nicht weiter fortgesetzt wird, da sich gezeigt hat, dass hospitalisierte Patienten, die bereits einen fortgeschrittenen Verlauf der COVID-Erkrankung durchgemacht haben, von dem Präparat nicht profitieren. Die MOVE-OUT-Studie wird hingegen in einer Dosierung von 2x800mg/Tag fortgesetzt.