Zahlreiche weitere Substanzen, die bereits als Arzneimittel zugelassen und für andere Indikationen therapeutisch in regelmäßiger Verwendung sind, werden bei der Behandlung von COVID-19-Patienten eingesetzt, um die Symptome zu mildern oder den Verlauf und den Ausgang der Krankheit günstig zu beeinflussen. Wir gehen im Folgenden nur auf solche Substanzen ein, die in größeren Studien auf ihre Wirksamkeit bei COVID-19 untersucht wurden, und die nachweislich oder wahrscheinlich einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben, sei es, dass sie die Häufigkeit von Krankenhausaufnahmen oder die Zahl notwendiger mechanischer Beatmungen reduzieren können, oder dass ihr Einsatz die Todesfallrate signifikant zu senken vermag.
Blutgerinnungshemmer (Antikoagulantien)
Wie bereits an anderer Stelle berichtet, ist die ausgeprägte Mikrothrombenbildung in Gefäßen, vor allem der Lunge, einer der Schrittmacher bei schweren COVID-19-Verläufen. Was liegt also näher, als diesem Prozess durch den vorbeugenden oder therapeutischen Einsatz von Antikoagulantien (Blutgerinnungshemmern) entgegenzuwirken? Antikoagulantien werden im klinischen Alltag häufig eingesetzt, in niedriger Dosierung als Thromboseprophylaxe oder in hoher Dosierung zur Behandlung von Thrombosen und Embolien. Häufig verwendete Substanzen sind Heparin oder Enoxaparin.
Im Zusammenhang mit COVID-19 stellte sich die Frage, ob COVID-19-Patienten vom Einsatz von Blutgerinnungshemmern profitieren, bzw. in welcher Phase der Erkrankung diese Medikamente ggfs. wirksam sind. Bereits im September 2020 hatte eine sehr kleine randomisierte, kontrollierte Studie an nur 20 Patienten (10 mit einer Niedrigdosis-, 10 mit einer Hochdosis-Therapie) gezeigt, dass durch die hochdosierte Gabe von Gerinnungshemmern (in diesem Fall Enoxaparin) der Gasaustausch in der Lunge signifikant verbessert, und der Bedarf an mechanischer Beatmung signifikant gesenkt werden konnte.
Eine neuere und wesentlich umfangreichere multizentrische, randomisierte, kontrollierte Studie mit drei unabhängigen Studienarmen brachte nun weitere Erkenntnisse. 300 Krankenhäuser auf fünf Kontinenten sind an der noch laufenden Studie beteiligt. Bemerkenswert war hier, dass die Aufnahme von Patienten in den Studienarm, der Patienten auf der Intensivstation betrachtete, durch ein unabhängiges Monitoring Board gestoppt wurde, nachdem sich bereits mit statistischer Signifikanz herausgestellt hatte, dass der Einsatz von Gerinnungshemmern bei dieser Gruppe den Ausgang nicht verbessern konnte (UM Today | International trials of blood thinners in critically ill COVID-19 patients pause due to futility (umanitoba.ca)). Dies war durchaus ein überraschendes Ergebnis, das dazu führte, dass die Amerikanische Gesellschaft für Hämatologie von der Anwendung von Antikoagulantien in therapeutischer Dosierung bei COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung abriet, falls keine andere Indikation für deren Einsatz vorliegt.
Am 22.01.2021 erschien nun eine weitere Zwischenauswertung aus dieser Studie auf Basis von 1.000 Patienten, wonach die Hochdosis-Therapie mit Antikoagulantien bei Patienten mit mäßig schwerem COVID-19-Krankheitsverlauf die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung oder anderer intensivmedizinischer Maßnahmen signifikant verminderte. Außerdem wurde ein Trend zu einer Verringerung der Rate tödlicher Ausgänge beobachtet (Full-dose blood thinners decreased need for life support and improved outcome in hospitalized COVID-19 patients | National Institutes of Health (NIH)).
Fazit
Nach gegenwärtigen Erkenntnissen ist eine hochdosierte therapeutische Anwendung von Gerinnungshemmern bei COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung kontraindiziert, es sei denn, sie ist aus anderen Gründen indiziert.
Demgegenüber ist die Behandlung von mäßig schwer erkrankten COVID-19-Patienten mit therapeutischen Dosen von Gerinnungshemmern indiziert. Dies dürfte insbesondere bei solchen Patienten der Fall sein, bei denen ein erhöhter D-Dimer-Spiegel ein Risiko für thrombotische Komplikationen anzeigt.
Viele Fragen zur Antikoagulantien-Therapie bei COVID-19 bleiben allerdings offen, so dass die kommenden Auswertungen aus der noch laufenden Studie sorgsam beobachtet werden müssen.
Colchizin
Colchizin, ein Alkaloid der Herbstzeitlose, ist ein altes Medikament, das vor allem zur Behandlung der Gicht, aber auch der Herzbeutelentzündung oder des Familiären Mittelmeerfiebers eingesetzt wird. Es hemmt die Zellteilung, hat entzündungshemmende Eigenschaften und hemmt entzündungsfördernde Chemokine sowie die Aktivierung und Einwanderung von Leukozyten. Im Mittelpunkt der schweren COVID-19-Verläufe steht, wie weiter oben ausgeführt, ein durch einen Zytokinsturm unterhaltener massiver Entzündungsprozess in der Lunge. Es lag daher nahe, zu untersuchen, ob Colchizin diesen Prozess beeinflussen bzw. verhindern kann. Dies war das Ziel einer in Kanada durchgeführten randomisierten, Plazebo-kontrollierten Doppelblind-Studie (COLCORONA), die den Effekt der Gabe von Colchizin über 30 Tage vs. Placebo untersuchte. Ein Vorabdruck der Studie (noch nicht „peer-reviewed“) wurde am 27.01.2021 auf dem Preprint-Server medRxiv gepostet (Efficacy of Colchicine in Non-Hospitalized Patients with COVID-19 | medRxiv).
In die Studie aufgenommen wurden an COVID-19 erkrankte Patienten im Alter über 40 Jahren mit Risikofaktoren für schwere Verläufe, die aber nicht hospitalisiert waren und bei denen die Symptome zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Studie auch keine baldige Hospitalisierung erwarten ließen. Primärer Endpunkt war das Eintreten eines der Ereignisse Tod oder Hospitalisierung innerhalb von 30 Tagen nach Aufnahme.
Im Ergebnis wurde auf Basis von 4.159 Studienteilnehmern mit PCR-bestätigter COVID-19-Erkrankung in der Colchizin-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe das Risiko des Eintretens eines Endpunkt-Ereignisses um 25% gesenkt. Das Ergebnis war statistisch signifikant (p=0,04) und ließ sich in allen Subgruppen (Patienten mit unterschiedlichen Risikofaktoren) reproduzieren.
Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass frühzeitig bei Risikopatienten eingesetztes Colchizin den Verlauf und Ausgang der Erkrankung verbessern kann. Sie bestätigen damit entsprechende Hinweise aus früheren, kleineren Studien. Beim Einsatz des Medikaments sind die möglichen Nebenwirkungen zu berücksichtigen.
Foto Herbstzeitlose: Anemone123/Pixabay