Neben den antiviral wirksamen Substanzen werden auch etliche Substanzen evaluiert, die darauf abzielen den Krankheitsverlauf durch Beeinflussung der körpereigenen Immunantwort, die im Zentrum der krankmachenden Wirkung des SARS-CoV-2 steht, zu modulieren. Der Stand des Wissens zu den vielversprechendsten Substanzen wird im Folgenden dargestellt.
Dexamethason
Ist Dexamethason die erhoffte COVID-Wunderdroge? Grundsätzlich gilt die Gabe von Corticoiden bei Infektionskrankheiten als kontraindiziert, da sie die Reaktivität des Immunsystems inhibiert, sprich die Funktion der T-Zellen und die Antikörperbildung einschränkt. Es gibt allerdings Ausnahmen bei Infektionen, bei denen die Immunantwort gegen den Erreger das eigentliche pathogenetische Prinzip hinter der Schädigung der Wirtsorgane darstellt. So ist es bei COVID-19, wo der durch SARS-CoV-2 in der Lunge ausgelöste Zytokinsturm offenbar mehr zum Entstehen schwerer Lungenmanifestationen beiträgt als die Zellschädigung durch das Virus selbst. Die Gabe von Corticoiden in der Behandlung von schwerkranken COVID-19-Patienten wurde daher von Anfang an erwogen und in der Praxis angewendet. Fallbeobachtungen hatten bereits darauf hingewiesen, dass durch den Einsatz von Corticoiden der Ausgang schwerer COVID-19-Infektionen verbessert werden könne. Schon beim SARS-Ausbruch 2003 war ein positiver Effekt des Einsatzes von Corticoiden auf die Letalität und die Krankenhausverweildauer berichtet worden. Allerdings fehlte es auch nicht an Warnhinweisen im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen einer Corticoid-Therapie, z. B. das Auftreten einer Hüftkopfnekrose.
Bisher stand allerdings der zweifelsfreie wissenschaftliche Nachweis des Effekts einer Corticoid-Therapie anhand einer randomisierten klinischen Studie noch aus. Mit den in einer Pressemitteilung verlautbarten Ergebnissen aus der sogenannten RECOVERY-Studie der Oxford University scheint dieses Manko nun behoben (http://www.ox.ac.uk/news/2020-06-16-dexamethasone-reduces-death-hospitalised-patients-severe-respiratory-complications). In die Studie wurden über 11.500 Patienten aus 175 britischen Krankenhäusern aufgenommen. In verschiedenen Armen der Studie werden neben Dexamethason auch andere Therapieansätze untersucht. 2.104 Patienten erhielten nach randomisierter Zuweisung 6 mg Dexamethason/Tag für 10 Tage. Die Vergleichsgruppe umfasste 4.321 Patienten und erhielt nur die Standard-Therapie. Demnach zeigt die Studie, dass die Letalität bei kritisch kranken COVID-19-Fällen unter mechanischer Beatmung durch die Gabe von Dexamethason um ein Drittel gesenkt werden kann, bei Patienten, die nur Sauerstoff erhielten, um ein Fünftel. Patienten ohne respiratorische Unterstützung profitierten von der Therapie nicht. Nach diesen Ergebnissen kann im Schnitt bei 8 behandelten Patienten unter mechanischer Beatmung ein Todesfall vermieden werden. Allerdings sind beim Einsatz von Dexamethason Kontraindikationen, wie zum Beispiel eine bestehende bakterielle Superinfektion, zu beachten.
Budesonid
Budesonid ist ein synthetisch hergestelltes Glucocorticoid (Steroid, Cortison-Derivat), das hauptsächlich in der Asthma-Therapie angewendet wird. Es wird dabei mittels Inhalationsgerät direkt auf die Bronchialschleimhaut appliziert. Der große Vorteil der lokalen Anwendung ist dabei, dass durch schnelle Verstoffwechselung nur ein geringer Anteil der aktiven Substanz in den Blutstrom gelangt. Auf der Bronchialschleimhaut wirkt die Substanz immunmodulierend und dadurch entzündungshemmend. Die Substanz steht in einer Reihe handelsüblicher Inhalationspräparate zur Verfügung.
Nachdem die Wirksamkeit von Glucorticoiden in Form des Dexamethason in bestimmten Phasen der COVID-19-Erkrankung in Studien gezeigt werden konnte und daher die Substanz heute zum Behandlungsrepertoire gehört (siehe unser Kapitel „Dexamethason“), stellte sich auch die Frage nach einem möglichen therapeutischen Effekt lokal applizierbarer Glucocorticoide. Schon früh im Verlauf der Pandemie war aufgefallen, dass sich unter den schwer erkrankten COVID-19-Patienten vergleichsweise wenige Asthma-Patienten oder Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung befinden. Dies führte zu Spekulationen, dass inhalativ angewendete Steroide, die von diesen Patienten häufig angewendet werden, den Verlauf von COVID-19 positiv beeinflussen könnten. Allerdings ergaben zwei bevölkerungsbasierte Beobachtungsstudien keinen oder sogar einen mäßig negativen Einfluss einer Steroid-Inhalationstherapie auf den Erkrankungsverlauf.
Im Gegensatz dazu findet eine kürzlich in The Lancet Respiratory Medicine veröffentlichte randomisierte Phase-2-Studie (Inhaled budesonide in the treatment of early COVID-19 (STOIC): a phase 2, open-label, randomised controlled trial – The Lancet Respiratory Medicine) einen signifikanten Effekt von inhalativ appliziertem Budesonid auf den Krankheitsverlauf. Die Auswertung erfolgte auf der Basis von 139 Patienten im Alter von mindestens 18 Jahren mit COVID-19-Symptomen seit nicht mehr als 7 Tagen, die randomisiert einer Therapie mit Budesonid (Inhalation von 800 mcg/Tag) oder einer Standard-Therapie zugeordnet worden waren. Den festgelegten primären Endpunkt (dringender Behandlungsbedarf, Notfallaufnahme, Hospitalisierung) erreichten 1/70 Budesonid-Patienten gegenüber 10/69 Patienten in der Standardtherapie-Gruppe. Der Unterschied war statistisch signifikant (p=0,004). Durch die Anwendung von Budesonid verkürzte sich überdies die subjektiv empfundene Krankheitsdauer, die Symptomdauer und die Dauer der Fieberphase.
Eine weitere, in Form einer noch nicht fachbegutachteten Vorabveröffentlichung erschienene Studie (https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.04.10.21254672v1.full.pdf) kommt zu der Schlussfolgerung, dass die Anwendung von Budesonid per Inhalator den Krankheitsverlauf von COVID-19 deutlich verkürzen könne. Bei der an der Universität Oxford durchgeführten, noch laufenden Studie (PRINCIPLE) handelt es sich um eine langfristig angelegte sogenannte Plattform-Studie, in die Patienten laufend aufgenommen und randomisiert verschiedenen Therapieansätzen bzw. der Standard-Therapie zugewiesen werden können, wobei je nach Effektivität der Umfang der jeweiligen Studienarme angepasst werden kann. Der Ansatz ist allerdings wie bei STOIC nicht verblindet und es gibt keine Placebo-Kontrollgruppe. Aufgenommen werden im Gegensatz zur STOIC-Studie Patienten im Alter von 60 Jahren oder darüber bzw. im Alter von mindestens 50 Jahren, falls zusätzliche Risikofaktoren vorliegen. Die jetzt vorliegende Zwischenauswertung auf der Basis von 751 laborbestätigten COVID-19-Patienten in der Budesonid-Gruppe und 1.028 Patienten in der Vergleichsgruppe mit Standard-Therapie findet eine Verkürzung der Krankheitsdauer von im Mittel 3 Tagen bei COVID-19-Patienten, die Risikofaktoren für einen schwereren Krankheitsverlauf aufweisen. PRINCIPLE ist damit die bisher größte Studie zu dem Thema. Die finalen Auswertungen bezüglich des Therapie-Effekts auf Hospitalisierungs- und Todesfallraten stehen allerdings noch aus. Eine positive Tendenz zeichnet sich jedoch aus den vorliegenden Daten bereits ab.
Die genannten Daten sprechen übereinstimmend für einen Effekt einer Budesonid-Inhalationstherapie auf den Verlauf der COVID-19-Erkrankung. Bei der Interpretation der Daten ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um Doppelblind-Studien mit Placebo-Kontrolle handelte, so dass ein möglicher Placebo-Effekt nicht erfasst wurde. Budesonid wurde in hoher Dosierung verabreicht. Bei der PRINCIPLE-Studie beruhen die Daten auf per Symptomtagebuch erfassten Selbsteinschätzungen der Probanden. Die Ergebnisse überraschen wegen der bekanntermaßen fehlenden Wirkung einer frühzeitigen systemischen Corticoid-Therapie (siehe „Dexamethason“). Sicherlich bietet sich hier aber eine neue Therapieoption für Patienten mit Risikofaktoren. Ob sich nur Symptome verbessern oder sich auch ein Effekt auf den Ausgang der Erkrankung (Hospitalisierung und Todesfallrate) erzielen lässt, muss sich noch erweisen. Zu dem Thema gibt es übrigens eine Reihe weiterer noch laufender klinischer Studien.
Tocilizumab
Tocilizumab ist ein marktverfügbarer humanisierter monoklonaler Antikörper der an membrangebundene und lösliche Formen des Interleukin-6 (IL-6)-Rezeptors bindet. Tocilizumab ist unter anderem für die Behandlung der Rheumatoiden Arthritis zugelassen. IL-6 wird von T-Lymphozyten und Makrophagen, aber auch anderen Körperzellen gebildet. Ihm kommt eine zentrale Rolle bei dem SARS-CoV-2-induzierten Zytokinsturm zu. IL-6 hat Einfluss auf die Membranpermeabilität, Komplementaktivierung und Gerinnungskaskade und induziert die disseminierte intravasale Gerinnung. Es wird angenommen, dass IL-6 in der Pathogenese von COVID-19 für die im späteren Verlauf auftretenden Lungenschäden maßgeblich mitverantwortlich ist. Es lag daher nahe, auch für Tocilizumab eine Wirksamkeit bei schweren COVID-19-Verläufen zu vermuten. Tatsächlich wird es in der Praxis bei schweren Verläufen „ex iuvantibus“ bereits häufig eingesetzt. Mehrere Fallbeobachtungsserien und Einzelfallberichte legen auch tatsächlich nahe, dass Tocilizumab bei schweren und kritischen COVID-19-Verläufen einen besseren Ausgang, d.h. eine Verminderung der Letalität bewirken kann (Khiali et al., Journal of Clinical Pharmacology, 2020 [https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32557541/]). Allerdings bedarf es noch eines wissenschaftlich fundierten Nachweises der Wirksamkeit mittels eines randomisierten, kontrollierten Studienansatzes. Die Designs mehrerer solcher Studien sind bereits veröffentlicht, die Studien selbst sind bereits angelaufen oder werden in Kürze beginnen.
Baricitinib
Baricitinib ist ein oraler Tyrosinkinase-Inhibitor, der zur Gruppe der Januskinase-Inhibitoren gehört. Januskinasen sind an der Signalübertragung in Zellen und funktional an der Steuerung von Immunabwehr und Entzündung beteiligt. Der Effekt von Baricitinib ist entzündungshemmend. Die Substanz wird bei der mittelschweren und schweren rheumatoiden Arthritis beim Erwachsenen eingesetzt. Hinter dem Einsatz bei COVID-19 steht der Gedanke, dass Baricitinib die zelluläre Immunaktivierung und Entzündungsreaktion hemmen könnte. Im November 2020 hat die FDA in den USA eine Notfallzulassung für den Einsatz von Baricitinib in Kombination mit Remdesivir bei hospitalisierten COVID-19-Patienten, die der zusätzlichen Sauerstoffgabe bedürfen oder mechanisch beatmet werden müssen, erteilt. Die der Notfallzulassung zugrundeliegenden Daten stammten aus der ACTT-2-Studie und teilweise aus der RECOVERY-Studie. Aus den Daten ergab sich ein möglicher Vorteil der mit Baricitinib+Remdesivir gegenüber den mit Plazebo+Remdesivir behandelten Patienten im Hinblick auf die Zeit bis zur Erholung. Ein Vorteil gegenüber der Behandlung mit Dexamethason ergab sich nicht. Im Ergebnis wurde die Notfallzulassung auf Fälle beschränkt, bei denen eine Behandlung mit Dexamethason nicht möglich ist. Baricitinib soll nur zusammen mit Remdesivir eingesetzt werden.