Bereits früh im Verlauf der Pandemie kam die Frage auf, ob bestimmte Medikamente den Verlauf von COVID-19 ungünstig beeinflussen können. Das Augenmerk richtete sich zunächst auf Blutdruckmedikamente, da hoher Blutdruck sich als Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf erwiesen hatte. Später gerieten dann auch weitere Substanzen in Verdacht, das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf zu erhöhen. Der Stand des Wissens wird im Folgenden dargestellt.
Blutdruckmedikamente
Wie das SARS-Coronavirus benutzt auch das SARS-CoV-2 den sogenannten ACE-2-Rezeptor zum Eintritt in die Zelle. Es handelt sich um ein Enzym, das in der Regulation des Renin-Angiotensin-Systems und damit in der Blutdruck-Regulation eine Rolle spielt. Aus Tierversuchen hatte sich der Hinweis ergeben, dass die Einnahme von ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern im Rahmen der Hochdrucktherapie zu einer vermehrten Expression von ACE-2 auf der Zelloberfläche führen könnte, womit dem Virus theoretisch durch die Vermehrung der Rezeptoren der Zugang zur Zelle erleichtert werden könnte. Dies wurde hypothetisch in Zusammenhang gebracht mit dem höheren Risiko, das Hypertonie-Patienten im Hinblick auf einen schweren oder letalen Verlauf von COVID-19 aufweisen, und führte gelegentlich schon zu Empfehlungen, diese Medikamente abzusetzen (Fang et al., Lancet Respir Med, 2020 [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7118626/]). In Maus-Modellen zur SARS-Coronavirus-Infektion (SARS-CoV von 2002/3) konnte man jedoch zeigen, dass eine Therapie mit ACE-Hemmern oder ATII-Rezeptorblockern den Ausgang der Infektion sogar verbesserte. Kürzlich erschien eine erste kontrollierte klinische Studie zu dem Thema an 42 COVID-19-Patienten mit Bluthochdruck (Meng et al., Emerging Microbes and Infections, 2020 [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7170368/]). Dabei fanden die Autoren, dass die mit ACE-Hemmern oder ATII-Rezeptorblockern behandelten Patienten eine niedrigere Rate an schweren Verläufen hatten und zu niedrigeren IL-6-Spiegeln im peripheren Blut tendierten. Darüber hinaus war der Peak der Viruslast bei diesen Patienten niedriger als bei der Kontrollgruppe. Die Autoren leiteten aus ihren Daten ab, dass sich eine Therapie mit Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Systems positiv auf den Verlauf der COVID-19-Erkrankung auswirkt.
Schlussfolgerung
Das Absetzen einer antihypertensiven Therapie mit Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Systems ist weder im Vorfeld noch während einer Infektion mit SARS-CoV-2 gerechtfertigt. Im Gegenteil: Es gibt sowohl aus Tiermodellen, als auch aus einer kontrollierten klinischen Studie Evidenz dafür, dass diese Substanzen den Verlauf sogar günstig beeinflussen.
Nichtsteroidale Antiphlogistika
Ibuprofen, Naproxen und Acetylsalicylsäure gehören wie das überwiegend antientzündlich wirkende Indometacin zu den nichtsteroidalen Antiphlogistika und zu den am häufigsten eingesetzten Substanzen zur Fiebersenkung und Schmerzlinderung. Da Fieber ein Leitsymptom bei COVID-19 ist, werden fiebersenkende Substanzen, allen voran Ibuprofen, COVID-19-Patienten regelmäßig verordnet. Jedoch kamen vom französischen Gesundheitsminister Warnungen vor der Einnahme von Ibuprofen bei COVID-19, basierend auf einem in Lancet veröffentlichten Bericht, der über eine Vermehrung der ACE-2-Rezeptoren, und damit einen verbesserten zellulären Zugang von SARS-CoV-2 unter einer Therapie mit Ibuprofen spekuliert hatte. Die WHO riet danach zeitweise von der Anwendung von Ibuprofen bei COVID-19-Patienten ab und empfahl stattdessen den Einsatz von Paracetamol, revidierte jedoch diese Empfehlung nach Prüfung der Evidenz. Fakt ist, dass es keine belastbaren Hinweise auf eine negative Auswirkung der Einnahme von nichtsteroidalen Antiphlogistika auf den Verlauf einer COVID-19 Erkrankung gibt.
Dennoch sind grundsätzliche Überlegungen angebracht, ob unkompliziertes Fieber bei COVID-19-Patienten überhaupt medikamentös therapiert werden sollte, denn Fieber hat durchaus einen positiven Effekt auf die Immunantwort, wie oben dargestellt. In aufgefrischter Erinnerung ist noch das Debakel, das man während der Influenza-Pandemie 1918 mit Acetylsalicylsäure erlebte. Es gibt überzeugende Evidenz dafür, dass eine Vielzahl der damaligen Todesfälle durch die abundante Gabe von Acetylsalicylsäure verursacht wurde (Starko, Clinical Infectious Diseases, 2009 [https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19788357/]). Allerdings dürfte dies vorwiegend an den hohen Dosen gelegen haben, die damals empfohlen wurden und die heute als toxisch angesehen würden. Nichtsteroidale Antiphlogistika wirken inhibierend auf die Cyclooxigenase-Enzyme (COX-1 und COX-2) und damit auf die Prostaglandinsynthese. Prostaglandine sind wiederum Mediatorsubstanzen für Fieber und Schmerzen. Cox-2 ist aber auch in die Antikörperproduktion durch B-Zellen involviert, die durch Hemmung der Cyclooxigenase ebenfalls inhibiert wird. Andererseits wurden für nichtsteroidale Antiphlogistika, speziell Indometacin und Naproxen, im Tiermodell auch potente antivirale Eigenschaften durch Interferenz mit der viralen RNA-Synthese von SARS-Coronavirus gezeigt (Amici et al., Antiviral Therapy, 2006 [https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17302372/]).
Schlussfolgerung
Der Einsatz von nichtsteroidalen Antiphlogistika bei COVID-19-Patienten, ist nicht kontraindiziert, sollte aber, insbesondere bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren, dennoch sorgfältig abgewogen werden. Weitere klinische Studien zu der Fragestellung sind erforderlich.