„Long COVID“ – gibt es das?

„Long COVID“ ist ein Begriff, der sich zunehmend eingebürgert hat, um Langzeit-Symptome nach der akuten Phase von COVID-19 zu bezeichnen. Medizinisch könnte man es auch als „postakutes COVID-Syndrom“ bezeichnen. In der Tat findet man in der medizinischen Fachliteratur immer häufiger Berichte über Spätfolgen nach einer Covid-19-Erkrankung, die jedoch sehr heterogen sind, sodass sich die verschiedenen berichteten Langzeitsymptome nur schwer in ein umschriebenes Krankheitsbild fassen lassen. Was verbirgt sich also hinter Long COVID? Eine am 30.1.2021 auf dem Preprint-Server medRxiv gepostet Metaanalyse hat versucht, genau dies herauszufinden (Microsoft Word – Manuscript_Complete.docx (nih.gov)).

Die Autoren führten dazu zunächst eine Literaturdatenbank-Recherche durch und wählten daraus für ihre Analyse diejenigen Publikationen aus, in denen jeweils Originaldaten von mindestens 100 Patienten berichtet wurden. Aus über 18.000 Publikationen, die sie mittels „Long-COVID“-assoziierter Suchbegriffe identifizierten, begutachteten sie 82 und fanden schließlich 15, die ihren Kriterien entsprachen. In ihrer Auswertung bezogen sie auf dieser Basis 47.910 Patienten und 55 in den Studien berichtete Langzeit-Effekte von COVID-19 ein. Die Nachbeobachtungszeiten nach der Akutphase der Infektion reichten dabei von 14-110 Tagen. Das Alter der einbezogenen Studienteilnehmer lag zwischen 17-87 Jahren. Die Autoren schätzten aus den analysierten Daten, dass ca. 80% der mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten mindestens ein Langzeit-Symptom entwickeln. Das häufigste, das sie in ihrer Metaanalyse fanden, war Fatigue (58%). Dabei handelt es sich um einen medizinischen Begriff für ein Syndrom, das durch außerordentliche Müdigkeit, mangelnde Energiereserven oder ein massiv erhöhtes Ruhebedürfnis, das absolut unverhältnismäßig zu vorausgegangenen Aktivitätsänderungen ist, gekennzeichnet ist. In der Rangfolge der fünf häufigsten Langzeit-Symptome rangierten sodann Kopfschmerzen (44%), Aufmerksamkeitsdefizite (27%), Haarausfall (5 und 20%) und Dyspnoe (24%). Andere Symptome hatten Bezüge zu den von COVID-19 betroffenen Organsystemen, zum Beispiel der Lunge (Husten, Brustschmerzen, Lungenfunktionseinschränkungen, Lungenfibrose), dem Herz-Kreislaufsystem (Rhythmusstörungen, Herzmuskelentzündung), dem Nervensystem (Demenz, Depression, Angststörungen, Aufmerksamkeitsstörungen). Wieder andere waren unspezifischer Natur, wie Haarausfall, Tinnitus oder Nachtschweiß. Ein andauernder Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinns wurde bei 23 bzw. 21% der Patienten beobachtet. Unter den medizinischen Befunden fiel auf, dass bei 34% der Patienten anhaltende Veränderungen an der Lunge im Röntgenbild oder CT erkennbar waren.

Die Auswertung der vergleichsweise wenigen Studien mit höheren Patientenzahlen, die in „peer-reviewed“ Fachzeitschriften zum Thema Long Covid veröffentlicht wurden, dokumentiert, dass es offenbar Langzeit-Symptome nach einer Covid-19-Erkrankung gibt, die über Monate anhalten und in ihrer Intensität schwanken können. Diese lassen sich allerdings nur schwer in ein definiertes Krankheitsbild einordnen oder einem bestimmten pathophysiologischen Prozess zuordnen. Eine eindeutige Korrelation zwischen der Schwere der akuten Erkrankung und dem Auftreten von Langzeit-Symptomen scheint es nicht zu geben. Dass viele Organsysteme von Langzeit-Symptomen betroffen sein können, kann damit erklärt werden, dass ACE-2-Rezeptoren, an die SARS-CoV-2 bindet, auf vielen verschiedenen Zelltypen im menschlichen Körper vorkommen. Ob eine Langzeit-Persistenz des Virus im menschlichen Körper mit der Entstehung dieser Symptomatik zu tun hat, wie eine Studie nahelegt, die bei einem Drittel der untersuchten Patienten noch 4 Monate nach der akuten COVID-19 Erkrankung in gastrointestinalen Biopsien lebendes Virus nachweisen konnte, bedarf ebenso weiterer Forschung wie die Hypothese, dass es sich um einen Autoimmun-Prozess handeln könnte, d. h. einer durch das Virus getriggerten Immunantwort gegen den eigenen Körper, wie sie von anderen Viruskrankheiten bekannt ist.

Angesichts der Vielzahl der COVID-19-Fälle und der hohen Inzidenz von Langzeit-Symptomen bedarf es jedenfalls weiterer Forschung, um das Thema in Zukunft therapeutisch und präventiv besser adressieren zu können.