Wie tödlich ist die SARS-CoV-2-Infektion?

Zu Kapitel 10.5

Von Beginn der Pandemie an wurde heftig darüber diskutiert, wie tödlich die SARS-CoV-2-Infektion ist, oder, wissenschaftlich ausgedrückt, wie hoch die Letalität (Verhältnis der Todesfälle zur Zahl der Infizierten) bei dieser Infektion ist. Allerdings gab es auf diese Frage lange keine wissenschaftlich gesicherte Antwort, da man die registrierten Todesfälle nicht zur Gesamtzahl der SARS-CoV-2-Infizierten in Bezug setzen konnte. Zu Beginn der Epidemie gab es lediglich Daten über die Letalität unter den klinisch erkrankten bzw. den hospitalisierten Patienten (siehe hierzu im Kapitel „Krankheitsverlauf bei hospitalisierten COVID-19-Patienten“). Die untersuchten Populationen waren demographisch sehr unterschiedlich, dementsprechend heterogen waren die Ergebnisse. Die Gesamtzahl der Infizierten war hingegen nicht bekannt, denn sie umfasst sowohl die an COVID-19 Erkrankten, als auch die asymptomatisch Infizierten und diejenigen Infektionen, die aus verschiedenen Gründen diagnostisch gar nicht erkannt wurden. Um die offene Frage zu adressieren, wurden Seroprävalenzstudien, wie z. B. die Heinsberg-Studie, durchgeführt, deren Ziel es war, durch Antikörpertests den Anteil der SARS-CoV-2-Infizierten in der untersuchten Bevölkerung festzustellen (siehe hierzu im Kapitel „Wie viele Infizierte gibt es wirklich?“). Die Ergebnisse der einzelnen Studien waren jedoch durch zahlreiche regional variable Faktoren beeinflusst, und konnten daher nicht als allgemeingültig angesehen werden. Um eine etwas genauere Einschätzung zu erhalten, analysierte Ioannidis in einer im WHO-Bulletin veröffentlichten Metaanalyse 61 bis Anfang September 2020 veröffentlichte oder als Preprint verfügbare Seroprävalenzstudien aus der ganzen Welt mit einer Stichprobengröße von ≥500, sowie Daten von 8 nationalen Studien, die in Presseverlautbarungen o. ä. bekanntgegeben worden waren, und extrahierte daraus die COVID-19-Todesfallrate, bezogen auf die jeweils SARS-CoV-2-Antikörper-positive Population (Bulletin of the World Health Organization (who.int)). Die über 51 Regionen querschnittlich ermittelte Letalität betrug 0,27%. In Regionen mit COVID-19-Todesfällen unterhalb des damaligen globalen Durchschnitts betrug die Letalität nur 0,09%, in Regionen mit überdurchschnittlich hohen COVID-19-Todesfallzahlen 0,2% und in Regionen mit weit überdurchschnittlich hohen COVID-19-Todesfallzahlen 0,57%. Unter Personen im Alter unter 70 Jahren betrug die Letalität nach dieser Metaanalyse im Mittel 0,05%.

Obwohl diese Metaanalyse eine erhebliche regionale Schwankungsbereite sowie den Einfluss weiterer demographischer Faktoren (z. B. der Altersstruktur der jeweiligen Bevölkerung) zeigt, ist die durchschnittliche Letalität einer SARS-CoV-2-Infektion deutlich niedriger, als noch zu Beginn der Pandemie vermutet. Zu diesen Zahlen passt das Ergebnis einer Querschnittsstudie aus Kanada, die bei über 7000 Beschäftigten im Gesundheitsdienst mit einer SARS-CoV-2-Infektion eine Todesfallrate von nur 0,2% ermittelten (Epidemiology, clinical characteristics, household transmission, and lethality of severe acute respiratory syndrome coronavirus-2 infection among healthcare workers in Ontario, Canada (plos.org)). In dieser Personengruppe dürfte die Zahl der nicht erfassten/erkannten SARS-CoV-2-Infektionen weit geringer sein als in der Allgemeinbevölkerung, so dass die ermittelte Letalität dem tatsächlichen Durchschnitt in der Bevölkerung in den Altersgruppen der Berufstätigen relativ nahekommen dürfte.

Obwohl diese Zahlen denen Recht geben, die von Beginn der Pandemie an vermuteten, dass die Letalität einer SARS-CoV-2-Infektion sehr viel niedriger liege als zunächst vermutet, ist dies kein Grund zur Entwarnung. Im Gegensatz zur Influenza trifft SARS-CoV-2 auf eine vollkommen nichtimmune Population und würde auch unter der Annahme der genannten niedrigeren Letalitäts-Zahlen ohne adäquate Gegenmaßnahmen in kurzer Zeit zu verheerenden Konsequenzen und einer völligen Überlastung des Gesundheitswesens führen.