Wo immer es um die Aufrechterhaltung oder Lockerung der gegenwärtigen Eindämmungsmaßnahmen geht, sind heftige Diskussionen im Gange. Die Lockerungs-Gegner wollen die Risikogruppen in der Bevölkerung schützen und eine Überlastung des Gesundheitswesens abwenden, die Befürworter wollen die durch das Grundgesetz garantierten Freiheiten verteidigen und die Wirtschaft vor dem Niedergang bewahren. Dabei ist umstritten, wovor wir uns eigentlich schützen und ob dies die gravierenden Einschränkungen rechtfertigen kann. COVID-19 sei nur eine Art grippaler Infekt, sagen die Gegner der verordneten Einschränkungen, die Todesfallraten seien total überschätzt, ja sie seien so gering, dass man sie in der Jahresstatistik der Todesfälle kaum als Übersterblichkeit bemerken werde, es sei außerdem nicht bewiesen, dass SARS-COV-2 überhaupt an den Todesfällen schuld sei, das Virus sei bei vielen Leuten, die sterben, einfach nur da, ohne jedoch ursächlich verantwortlich zu sein.
Doch was davon lässt sich anhand der Datenlage belegen?
Die Letalität von COVID-19 ist gewiss überschätzt, darin besteht unter den Wissenschaftlern Einigkeit. Die asymptomatisch Infizierten oder diejenigen, die wegen geringfügiger Symptome nicht zum Arzt gegangen sind, entgehen der Labordiagnostik und fehlen in der Statistik. Je nachdem, um wie viele es sich dabei handelt, sinkt die berechnete Letalität der Infektion auf einen realistischen Wert von deutlich unter 1 % (siehe dazu auch: „Wie viele Infizierte gibt es wirklich?“).
Doch selbst wenn es in Deutschland zehnmal mehr Infizierte gäbe als in den Statistiken ausgewiesen, so läge die Zahl der daraus insgesamt resultierenden Todesfälle an COVID-19 bis zum Erreichen einer Herdenimmunität noch immer bei mehr als 200.000, die Zahl der benötigten Intensivbetten noch immer bei mehr als dem Zehnfachen der vorhandenen Kapazität. Bei einer nicht-immunen Bevölkerung ist das noch immer viel zu viel, als dass das deutsche Gesundheitswesen einen solchen Ansturm innerhalb eines kurzen Zeitraums verkraften könnte.
Doch ist SARS-CoV-2 überhaupt für die schweren Verläufe und Todesfälle verantwortlich, die wir im Rahmen der Pandemie beobachten, oder ist das Virus selbst nur ein harmloser Mitläufer?
COVID-19 ist nach allem, was wir mittlerweile über den Krankheitsverlauf wissen, nicht eine bunte Mischung klinischer Krankheitsbilder in Anwesenheit von SARS-CoV-2. Vielmehr zeigen die schweren Verläufe ein sehr typisches klinisches Bild, dessen hervorstechendes Merkmal eine beidseitige fleckförmige, sogenannte atypische Pneumonie ist. Die Ursachen davon sind die krankmachenden (pathogenetischen) Eigenschaften von SARS-COV-2, die andere Coronaviren, die wir als Erreger harmloser Erkältungskrankheiten kennen, nicht haben. In erster Linie handelt es sich dabei um die Erkennung eines spezifischen Rezeptors auf menschlichen Zellen, ACE-2, an den SARS-CoV-2 in gleicher Weise wie das SARS-Virus von 2003 andockt, den aber „gewöhnliche“ Coronaviren nicht erkennen. Die Nutzung dieses Rezeptors erschließt dem SARS-CoV-2 den Zugang nicht nur zu Lungenzellen, sondern zu zahlreichen weiteren Zellen im menschlichen Körper, einschließlich bestimmter Zellen des Immunsystems. Die Invasion dieser Zellen und ihre dadurch ausgelöste Zerstörung durch die Reaktion des Immunsystems haben einen erheblichen Anteil an der krankmachenden Wirkung von SARS-CoV-2. COVID-19 mündet bei einem Teil der Infizierten in ein ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome), das gekennzeichnet ist durch eine Überreaktion des Immunsystems und eine dadurch ausgelöste massive Ausschüttung von Botenstoffen (Zytokinsturm). Die massive Entzündungsreaktion in der Lunge führt zum Sauerstoffmangel, damit oft zur Beatmungspflicht und zu tödlichem Ausgang. ACE-2 ist aber auch ein Enzym, das bei der Regulierung zahlreicher physiologischer Prozesse im menschlichen Körper eine Rolle spielt, beispielsweise bei der Regulierung des Gefäßtonus und damit des Blutdrucks. Wird der Rezeptor durch das Virus blockiert, so hat dies pathophysiologische Konsequenzen.