Erfolg­versprechende Impf­stoff­kandidaten

Zu Kapitel 14.4 · Foto: Pexels

Erste Ergebnisse aus den klinischen Studien

Im November 2020 wurden erste Ergebnisse aus den am weitesten fortgeschrittenen Phase-III-Impfstoff-Studien bekannt. In allen Fällen handelt es sich um Zwischenergebnisse aus noch laufenden Studien, in denen weiter Probanden rekrutiert werden. Die Bekanntgabe erfolgte in Form von Verlautbarungen der Hersteller. Wissenschaftliche Veröffentlichungen nach Durchlaufen eines Peer-Review-Prozesses liegen noch nicht vor. Dennoch sind die verfügbaren Daten bereits Grundlage für die Beantragung von „Emergency-Use“-Zulassungen in den USA und anderen Ländern. In der Europäischen Union gibt es die sogenannte „Conditional Market Authorization“ (bedingte Marktzulassung). Diese kann auf der Basis weniger umfassender Daten erfolgen als normalerweise gefordert und kommt nur für solche Medikamente in Frage, die der Behandlung, Prävention oder Diagnose schwerer oder lebensbedrohender Erkrankungen dienen. Die verfügbaren Daten müssen belegen, dass der Nutzen des Medikaments seine Risiken überwiegt. Die Antragsteller müssen in der Lage sein, die geforderten umfassenden Daten zu einem späteren Zeitpunkt nachzureichen.

Der bereits im späten Frühjahr weit fortgeschrittene Entwicklungsprozess einiger Vakzine-Kandidaten hatte es wahrscheinlich gemacht, dass die mRNA-Vakzinen als erste die Ziellinie erreichen würden. Im Wochenabstand traten nun die Hersteller Pfizer/BioNTech und Moderna mit Zwischenergebnissen aus ihren Phase-III-Studien an die Öffentlichkeit, kurz darauf gefolgt von AstraZeneca in Kooperation mit der Universität Oxford, die Zwischenergebnisse ihrer Phase-III-Studie mit einer Vektorvakzine vorstellten.

Im Folgenden geben wir einen Überblick über die zum 07.01.2021 bekannten wichtigsten Daten zu den einzelnen Impfstoffkandidaten. Weitere dürften bald folgen, denn derzeit befinden sich bereits 11 Impfstoff-Kandidaten in Phase-III-Studien.

BNT162b2-mRNA-Vakzine (Comirnaty; Pfizer/BioNTech)

Am 09.11.2020 gab das Konsortium Pfizer/BioNTech Ergebnisse einer Zwischenanalyse seiner noch laufenden Phase-III-Studie zu seinem Impfstoffkandidaten BNT162b2 bekannt (https://investors.biontech.de/news-releases/news-release-details/pfizer-and-biontech-announce-vaccine-candidate-against-covid-19). Es handelt es sich um einen Nukleosid-modifizierten mRNA-Impfstoff, der das SARS-CoV-2-Spike-Protein in voller Länge enthält, wobei zwei Prolin-Mutationen eingefügt wurden, um das Protein in der ursprünglichen Konformation (vor Einnahme der Konformation, in der es mit der Zellmembran fusioniert) zu stabilisieren (Abbildung). Davon erhofft man sich eine stärkere neutralisierende Immunantwort gegen das intakte Virus. Die eingebaute Nukleosid-Modifikation soll unter anderem die Erkennung der mRNA durch das angeborene Immunsystem dämpfen. Die mRNA ist in einem Lipid-Nanopartikel-Komplex verpackt und damit vor einem vorzeitigen Abbau (vor Erreichen der Zielzellen) geschützt. Der Impfstoff ist bei minus 70 Grad Celsius für 6 Monate haltbar, bei minus 4 Grad Celsius lediglich 5 Tage.

Atomstruktur des SARS-CoV-2-Spikeproteins

Abbildung: Die Atomstruktur des SARS-CoV-2-Spikeproteins wurde von Wissenschaftlern des NIAID und der Universität Austin aufgeklärt (https://www.niaid.nih.gov/news-events/atomic-structure-novel-coronavirus-protein). Der grüne Bereich an der Spitze zeigt die Rezeptorbindungsdomäne, wie sie vor der Fusion aus dem Spike herausragt. In dieser Konfiguration wird das Spike-Protein durch die COVID-mRNA-Impfstoffe BNT162b2 und mRNA-1273 kodiert.

In die internationale, multizentrische, randomisierte, Plazebo-kontrollierte Doppelblind-Studie (Studiendesign siehe Impfstoff-Tracker), die am 27.06.2020 begann, waren zu diesem Zeitpunkt 43.538 Probanden aufgenommen worden. Die Probanden erhielten gemäß Studienprotokoll zwei Dosen des Impfstoffs zu je 30µg im Abstand von 21 Tagen. Endpunkt war das Auftreten einer bestätigten COVID-19-Erkrankung ab Tag 7 nach der zweiten Impfung (Tag 28 nach Impfbeginn). Zum Zeitpunkt der ersten Zwischenanalyse waren in der Studienpopulation 94 bestätigte COVID-19-Fälle aufgetreten. Diese wurden durch ein unabhängiges Data Monitoring Committee entblindet und hinsichtlich des erhaltenen Präparats (Impfstoff oder Placebo) ausgewertet. Aus den Daten errechnete sich eine Impfstoff-Wirksamkeit von über 90% ab Tag 7 nach der zweiten Impfung. Unter den 94 Fällen befanden sich keine schweren Verlaufsformen, weswegen eine weitergehende Aussage zur Schutzwirkung des Impfstoffs gegen schwere COVID-19-Verläufe, die theoretisch höher sein könnte als die generelle Schutzwirkung, nicht möglich ist.

Auf Basis dieser Daten wurde eine Notfall-Zulassung bei der FDA und Zulassungsbehörden weiterer Länder, sowie eine bedingte Marktzulassung bei der Europäischen Arzneimittelbehörde beantragt. Am 02.12.2020 erteilte Großbritannien als erstes Land eine Notfall-Zulassung für den Impfstoff, am 11.12. folgte die Emergency-Use-Authorization durch die FDA. Unmittelbar darauf lief in den entsprechenden Ländern die Verteilung des Impfstoffs an. Am 21.12.2020 erteilte die Europäische Kommision auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur ihre Conditional Market Authorization, so dass nun auch in Deutschland mit den Impfungen begonnen werden kann.

Das Konsortium plant, noch im Jahr 2020 50 Millionen Impfstoffdosen weltweit bereitzustellen. Für 2021 sind 1,3 Milliarden Impfstoffdosen projiziert.

Im Oktober 2020 hatte das Konsortium im New England Journal of Medicine die Ergebnisse einer Phase-I-Studie mit den zwei verschiedenen ursprünglichen Impfstoffkandidaten (BNT162b1 und BNT162b2) veröffentlicht (https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2027906). Beide Impfstoffkandidaten waren in der Lage, bei den geimpften Personen die Bildung von neutralisierenden Antikörpern zu induzieren, deren Konzentration sogar über das bei natürlich Infizierten beobachtete Niveau hinausging. Die BNT162b2-Vakzine wies allerdings eine geringere Häufigkeit und Schwere von systemischen Nebenwirkungen auf, weswegen sie für die Phase-III-Studie ausgewählt wurde. Bei diesem Vakzine-Kandidaten traten – mit leichten Unterschieden in den verschiedenen Altersklassen – bei bis zu 90% der Impflinge bei der ersten und zweiten Impfdosis leichte bis mäßige Schmerzen an der Injektionsstelle auf. Eine Rötung an der Injektionsstelle wurde nur bei wenigen Impflingen beobachtet. Weitere unerwünschte Wirkungen wurden nicht beobachtet.

Die jetzt veröffentlichten Daten aus der Phase-III-Studie bestätigten im Wesentlichen die gute Verträglichkeit des Impfstoffs. Die beobachteten unerwünschten Wirkungen des Impfstoffs waren in den allermeisten Fällen nur leicht bis mäßig ausgeprägt und nur von kurzer Dauer. Am häufigsten waren Schmerzen an der Injektionsstelle (71-83%, je nach Altersgruppe), Müdigkeit (59%) und Kopfschmerzen (52), bei 16% der jüngeren Impflinge und 11% der älteren kam es zu Fieber bis 38,9 Grad Celsius. Selten kam es zu Lymphknotenschwellungen.

mRNA-1273-Vakzine (Moderna)

Die von Moderna in Zusammenarbeit mit dem NIH in den USA durchgeführte randomisierte, Plazebo-kontrollierte Doppelblind-Studie der Phase III (COVE-Studie) mit dem Impfstoffkandidaten mRNA-1273 erreichte im November 2020 die statistischen Kriterien für eine Interimsanalyse durch ein unabhängiges Monitoring Board. Bei dem mRNA-1273-Impfstoff handelt es sich wie bei der Pfizer/BioNTech-Vakzine um eine mRNA, die die gesamte Sequenz des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 umfasst, wobei auch hier zwei Prolin-Mutationen eingefügt wurden, um das Protein in der ursprünglichen Konformation (vor Einnahme der Fusions-Konformation) zu stabilisieren. Das Konstrukt ist in einer Lipid-Nanopartikel-Kapsel verpackt (siehe Abbildung).

Allgemeiner Aufbau der mRNA-Vakzine-Plattform von Moderna

Abbildung: Allgemeiner Aufbau der mRNA-Vakzine-Plattform von Moderna: Im Falle der mRNA-1273-Vakzine ist im kodierenden Bereich die mRNA für das SARS-CoV-2-Spike-Protein eingefügt. Die RNA ist in eine Lipid-Nanopartikel-Kapsel verpackt (https://www.modernatx.com/mrna-technology/mrna-platform-enabling-drug-discovery-development).

Der Impfstoff wird in zwei Dosen zu je 100µg im Abstand von 28 Tagen verabreicht. Der Impfstoff ist nach Herstellerangaben bei einer Lagerungstemperatur von minus 4 Grad Celsius (25 Grad Fahrenheit) für 1 Monat haltbar.

Am 16. November teilte Moderna die Zwischenergebnisse in einer Presseverlautbarung mit (Moderna’s COVID-19 Vaccine Candidate Meets its Primary Efficacy Endpoint in the First Interim Analysis of the Phase 3 COVE Study | Moderna, Inc. (modernatx.com)). Zum Zeitpunkt der Interimsanalyse waren mehr als 30.000 Probanden in die Studie aufgenommen worden. Primärer Endpunkt war das Auftreten einer COVID-19-Erkrankung ab Tag 14 nach Verabreichung der zweiten Impfstoffdosis. 95 Probanden waren zum Zeitpunkt der Interimsanalyse klinisch und laborbestätigt an COVID-19 erkrankt. Davon gehörten 90 Probanden zur Plazebo-Gruppe und 5 zur Impfstoffgruppe, woraus sich eine Impfstoff-Wirksamkeit von 94,5% errechnete. Unter den Erkrankten befanden sich 11 schwere Fälle, die allesamt der Plazebo-Gruppe angehörten. Auf Basis dieser vorläufigen Daten kann auf eine hundertprozentige Wirksamkeit des Impfstoffs gegen die schwere Verlaufsform von COVID-19 geschlossen werden. Moderna machte auch Angaben zu den im Verlauf der Studie beobachteten unerwünschten Wirkungen des Impfstoffs. Im Allgemeinen sei der Impfstoff gut vertragen worden. Die meisten Nebenwirkungen wurden als leicht- oder mäßiggradig eingestuft. Schwerere unerwünschte Wirkungen, die häufiger als bei 2% der Geimpften auftraten, betrafen nach der ersten Impfdosis Schmerzen an der Injektionsstelle (2,7%), sowie nach der zweiten Dosis Müdigkeit (9,7%), Muskelschmerzen (8,9%), Gelenkschmerzen (5,2%), Kopfschmerzen (4,5%) sowie Schmerzen oder Rötung an der Infektionsstelle (4,7%). Die genannten unerwünschten Wirkungen waren in der Regel von kurzer Dauer. In einer am 12.11.2020 im New England Journal of Medicine erschienenen Veröffentlichung (An mRNA Vaccine against SARS-CoV-2 — Preliminary Report | NEJM) wurde über die Ergebnisse der Phase-I-Studie mit dem Impfstoffkandidaten berichtet. Bei allen geimpften Probanden waren mit der 100µg-Dosierung der Vakzine lokale oder systemische Nebenwirkungen leichten bis mäßigen Schweregrads aufgetreten. Diese umfassten Symptome wie Müdigkeit (80%), Fieber (40%), Schüttelfrost (80%), Gelenkschmerzen (ca. 13%), Muskelschmerzen (ca. 53%) oder Übelkeit (ca. 46%).

Am 18.12.2020 erteilte die amerikanische FDA auf Basis der bisher vorliegenden Studiendaten eine Emergency Use Authorization für die mRNA-1273-Vakzine von Moderna. Damit ist in den USA ein zweiter Impfstoff zugelassen. Unmittelbar darauf begann die Verteilung von Millionen von Impfdosen durch den Hersteller.

Am 6. Januar 2021 erteilte auch die Europäische Kommission auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur eine bedingte Marktzulassung, so dass nun auch in der Europäischen Union zwei mRNA-Impfstoffe für die anlaufenden Impfkampagnen eingesetzt werden können.

AZD1222-Vakzine (Vaxzevria; AstraZeneca/Oxford University)

AZD1222 ist eine Vektorvakzine auf Basis eines Schimpansen-Adenovirus (ChAdOx1), welches gentechnisch so verändert wurde, dass es das genetische Material des SARS-CoV-2 Spike-Proteins enthält und sich nicht selbst replizieren (vermehren) kann (replikationsdefiziente Vektorvakzine). Das Vektorvirus verursacht beim Schimpansen eine Erkältungskrankheit, kommt aber beim Menschen nicht vor, so dass keine natürlichen Antikörper dagegen existieren. Nach Infektion mit der Vektorvakzine wird das SARS-CoV-2-Spike-Protein in den infizierten Zellen gebildet und induziert eine Immunantwort, die vor einer SARS-CoV-2-Infektion schützt.

Die laufende multizentrische, einfach-verblindete (Studienarm COV005 doppelt verblindet), randomisierte, Plazebo-kontrollierte klinische Studie für AZD1222 findet in Großbritannien (COV001[Phase 1/2], COV002 [Phase 2/3]), Brasilien (COV003, Phase 3) und Südafrika (COV005 [Phase 1/2) statt, wobei in den beiden Studienarmen in Großbritannien unterschiedliche Dosierungsregime angewandt wurden. Es wurden standardmäßig jeweils zwei Impfstoffdosen (ca. 5×1010 Viruspartikel) im Abstand von mindestens einem Monat verabreicht, wobei in dem COV002-Studienarm einem Teil der Probanden bei der ersten Impfdosis nur die Hälfte des Impfvirus (ca. 2,5×1010 Viruspartikel) verabreicht wurde. Zum Zeitpunkt der jetzt veröffentlichten Interimsanalyse (Safety and efficacy of the ChAdOx1 nCoV-19 vaccine (AZD1222) against SARS-CoV-2: an interim analysis of four randomised controlled trials in Brazil, South Africa, and the UK – The Lancet) waren im Gesamtkollektiv von 11.636 Probanden 131 COVID-19-Fälle aufgetreten. Für das COV002-Dosierungsregime wurde dabei eine Impfstoffwirksamkeit von 90% für diejenigen Probanden ermittelt, die bei der ersten Impfung nur die halbe Impfstoffdosis erhalten hatten und von 60,3% für diejenigen, die mit der Standarddosierung geimpft worden waren. Für das COV003-Dosierungsregime betrug die errechnete Wirksamkeit 62%. Gemittelt über alle Teilstudien betrug die Wirksamkeit der AZD1222-Vakzine 70%. Die Ergebnisse waren statistisch hochsignifikant. Unter den vollständig Geimpften traten keine schweren Verlaufsformen von COVID-19 oder Hospitalisierungen auf. Auch die Zahl der schweren COVID-19-Verläufe, die nach Verabreichung der ersten Dosis noch auftraten, war in der geimpften Gruppe deutlich geringer als in der Kontrollgruppe. Als Plazebo wurde in den Studienarmen eine Meningokokken-Vakzine verwendet, beim brasilianischen Arm allerdings nur als erste Dosis, während bei der Zweitdosis eine physiologische Kochsalzlösung injiziert wurde. Bei dem britischen Studienarm wurde zusätzlich zum klinischen Endpunkt (Auftreten einer bestätigten COVID-19-Erkrankung) auch wöchentlich mit Hilfe routinemäßiger Abstrich-Entnahmen auf eine SARS-CoV-2-Infektion untersucht, so dass dieser Studienarm auch eine Aussage zur Wirksamkeit der Impfung in Bezug auf die Verhütung einer (asymptomatischen) SARS-CoV-2-Infektion liefern kann.

Soweit in den Studienarmen schwerwiegende Nebenwirkungen beobachtet wurden, traten sie auch in der Kontrollgruppe ohne signifikante Häufung in der geimpften Gruppe auf.

Die ermittelten Wirksamkeitsdaten erfüllen die Kriterien, um auch für AZD1222 eine Emergency-Use-Zulassung bzw. eine Conditional Market Authorization zu beantragen. In Großbritannien erfolgte die Zulassung des Impfstoffs bereits am 30.12.2020. Am 29.01.2021 empfahl die Europäische Arzneimittelkommission der EU-Kommission, dem Impfstoff eine bedingte Marktzulassung ohne Einschränkungen zur Anwendung bei allen Erwachsenen zu erteilen. Die Ständige Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (STIKO) hatte allerdings zunächst empfohlen, den Impfstoff nur bei Personen unter 65 Jahren anzuwenden, da die Datenlage für Personen über 65 Jahre nicht ausreiche. In der Tat war diese Altersgruppe in den veröffentlichten Studiendaten nur unzureichend repräsentiert. Inzwischen hat die STIKO ihre Stellungnahme korrigiert und empfiehlt den Impfstoff nun auch für Personen über 65 Jahre. In den USA wird nicht vor April 2021 mit einer FDA-Zulassung gerechnet.

AZD1222-Vakzine neu betrachtet

Dass die AZD1222-Vakzine (AstraZeneca) in Deutschland nicht die Akzeptanz fand, die man sich erhoffte, hatte auch mit den anfänglich präsentierten Studiendaten zu tun. Die stark abweichenden Ergebnisse in den verschiedenen Studienarmen, die dann kombiniert eine scheinbar geringere Wirksamkeit ergaben als für die mRNA-Impfstoffe ermittelt worden war, sowie die nur schwer erklärbare bessere Wirksamkeit bei Anwendung einer halbierten ersten Impfdosis verunsicherten zuerst die Fachleute und dann die Impfpopulation. Doch neuere Daten lassen die Impfung in einem günstigeren Licht erscheinen, weswegen wir an dieser Stelle die neuesten Erkenntnisse, die bisher alle als noch nicht begutachtete Vorabdrucke zur Verfügung stehen, zusammenfassen (Stand 01.03.2021).

Erwähnenswert ist hier vor allem eine Feldstudie aus Schottland, die mit Hilfe der umfassend verlinkten „Early Pandemic Evaluation and Enhanced Surveillance of COVID-19 (EAVE II) Datenbank“ durchgeführt wurde, die ungefähr 99% der Gesamtbevölkerung Schottlands (5,4 Millionen Personen) überblickt (Vasileiou E. et al, Univ. Edinburgh). Erfasst werden darin u.a. Impfdaten, Labortests auf SARS-CoV-2, Erkrankungen und Hospitalisierungen. Es handelt sich um eine prospektive offene Kohortenstudie, bei der die mit der BNT162b-Vakzine oder der AZD1222-Vakzine geimpfte Population erfasst und der noch nicht geimpften Bevölkerung gegenübergestellt wurde, um den Effekt der ersten Impfdosis zu ermitteln.

Wesentliche Erkenntnisse dieser Studie waren eine für die erste Dosis der BNT162b-Vakzine ermittelte Wirksamkeit von 85% gegen Hospitalisierung durch COVID-19 ab 28 Tage nach Verabreichung des Impfstoffs. Für die AZD1222-Vakzine betrug die analoge Wirksamkeit 94%. Die Wirksamkeit der Impfung (kombiniert für beide Impfstoffe) gegen eine Hospitalisierung durch COVID-19 war in allen Altersgruppen vergleichbar hoch und betrug für die Altersgruppen von 18-64 Jahren 85%, für die Altersgruppe von 65-79 Jahren 79% und die Altersgruppe über 80 Jahre 81%.

Eine Arbeit aus der Universität Oxford bringt weitere Daten aus der bereits oben beschriebenen Phase-2/3-Studie, dieses Mal auf der Basis von 17.177 Geimpften in den verschiedenen Studienarmen in Großbritannien, Brasilien und Südafrika. Die durchschnittliche Gesamtwirksamkeit der Vakzine gegen eine symptomatische COVID-19-Erkrankung über alle Studienarme und Dosierungsregime hinweg (bei einem Teil der Probanden im britischen Studienarm wurde bei Verabreichung der ersten Impfung nur die halbe Impfstoffdosis gegeben, der Rest erhielt die Standarddosis) betrug 66,7% ab 14 Tage nach der zweiten Impfdosis. Bei den Geimpften traten ab Tag 21 nach der ersten Impfdosis keine Hospitalisierungen wegen COVID-19 mehr auf, im Vergleich zu 15 in der Kontrollgruppe. Der generelle Schutzeffekt gegen eine symptomatische Infektion betrug nach der ersten Impfdosis in Standarddosierung im Zeitraum von Tag 22 bis Tag 90 nach Gabe der Impfung 76%, wobei die Schutzwirkung innerhalb dieses Zeitraums nicht abnahm und sich auch die erzielten Antikörperspiegel nicht wesentlich veränderten. In der Gruppe, die zweimal die Standarddosis erhielt, war – hier bezogen auf eine PCR-positive Infektion, gleich ob asymptomatisch oder symptomatisch – die Schutzrate nach der zweiten Impfung besser, wenn das Impfintervall zwischen erster und zweiter Impfung größer war, nämlich 82,4% im Vergleich zu nur 54,9%, wenn das Impfintervall unter 6 Wochen lag. Analog verhielten sich auch die gemessenen Antikörperspiegel. Der AZD1222-Impfstoff hat in Großbritannien eine Notfallzulassung für die Anwendung von zwei Standarddosen im Abstand von 4-12 Wochen.

Am 22.03.2021 gab AstraZeneca eine weitere Zwischenauswertung aus seiner noch laufenden Phase-3-Studie in den USA, Chile und Peru bekannt. Auf der Basis von 32.000 Probanden aller Altersgruppen, die entweder zwei Standarddosen des Impfstoffs im Abstand von 4 Wochen oder eine Placebo-Vakzine erhalten hatten, wurde eine Effizienz von 79% (kurz darauf korrigiert auf 76%) gegen eine symptomatische COVID-19-Erkrankung und eine Wirksamkeit von 100% gegen schwere oder kritische Verläufe berichtet. Bei Probanden in der Altersgruppe über 65 Jahren wurde eine Wirksamkeit von 85% gegen eine symptomatische COVID-19-Erkrankung berichtet. Auch diese neue Teilauswertung ergab bessere Wirksamkeitsdaten als die zuerst veröffentlichten Ergebnisse aus den britischen, brasilianischen und südafrikanischen Studienarmen.

Mit der Frage der Wirksamkeit des Impfstoffs gegen die britische Variante B.1.1.7 befasst sich eine weitere auf einem Preprint-Server gepostete Arbeit aus der Universität Oxford (Emary et al.). Hierbei wurden Teilnehmer (mit 2 Impfdosen Geimpfte bzw. Kontrollgruppe) aus dem britischen COV002-Arm der bereits beschriebenen Phase2/3-Studie untersucht. Die Probanden wurden routinemäßig oder bei Auftreten von Symptomen mithilfe der PCR auf SARS-CoV-2 getestet, eine Subgruppe der positiven Proben wurde sequenziert, um die infizierende Virusvariante festzustellen. Bei den symptomatischen Fällen waren 28,3% durch B.1.1.7, die übrigen durch die ursprünglich verbreiteten Viruslinien verursacht, die asymptomatischen Infektionen waren ähnlich verteilt. Die errechnete Schutzrate der Vakzine gegen eine symptomatische SARS-CoV-2-Infektion betrug 74,6% für B.1.1.7 und 84,1% für die nicht durch B.1.1.7 verursachten Infektionen. Bei den asymptomatischen B.1.1.7-Infektionen betrug die Schutzrate nur 26,5% für Infektionen durch B.1.1.7 vs. 75,4% für die nicht durch B.1.1.7 verursachten Infektionen. Die Gesamtschutzraten (symptomatisch und asymptomatisch) betrugen 66,7% gegen B.1.1.7 und 87,9% gegen andere Viruslinien. Die gemessenen Spiegel neutralisierender Antikörper waren gegen B.1.1.7 neunmal niedriger als gegen eine der in der Vergangenheit dominierenden Viruslinien. Die asymptomatischen Patienten hatten ausweislich der quantitativen PCR-Ergebnisse in dieser Studie eine geringere Viruslast als die symptomatischen.

Verdachtsfälle seltener Impfnebenwirkungen

Das Auftreten von Verdachtsfällen unerwünschter Arzneimittelwirkungen ist, wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, im Rahmen der millionenfachen Anwendung eines neu in den Markt eingeführten Produkts nicht ungewöhnlich (siehe auch Kapitel „Was wir über die Impfstoffe wissen“). Im Falle von Impfstoffen ist gemäß dem Arzneimittelgesetz das Paul-Ehrlich-Institut für die Überwachung der Arzneimittelsicherheit zuständig. Bezüglich der Covid-19-Impfstoffe veröffentlicht das Institut auf seiner Webseite regelmäßig Sicherheitsberichte. In der 11. Kalenderwoche kam es auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts zu einem vorübergehenden Aussetzen der Impfungen mit der AZD1222-Vakzine in Deutschland, nachdem zuvor bereits zahlreiche andere EU-Länder die Impfung ausgesetzt hatten. Hintergrund war eine ungewöhnliche Häufung (13 Fälle nach mehr als 1,6 Millionen verabreichten Impfdosen) von schweren Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Verabreichung des Impfstoffs. Die Fälle waren jeweils im Zeitraum von 4 bis 16 Tagen nach Verabreichung der Impfung aufgetreten. Betroffen waren zu diesem Zeitpunkt zwölf Frauen und ein Mann im Alter von 20-63 Jahren. Die Auffälligkeit bestand insbesondere darin, dass es sich bei den meisten Fällen um in der Allgemeinbevölkerung sehr seltene Hirnvenen-Thrombosen (Sinusvenen-Thrombosen) handelte, deren Häufigkeit in der geimpften Population den Erwartungswert deutlich überschritt. Überdies standen die Fälle im Zusammenhang mit einer gleichzeitig beobachteten Abnahme der Blutplättchen (Thrombozyten). Gleichzeitig wiesen jedoch die bisher bekannten Phase-3-Studiendaten ebenso wie die neuesten Daten aus dem Studienarm in den USA, Chile und Peru kein erhöhtes allgemeines Thromboserisiko im Zusammenhang mit der Gabe des Impfstoffes aus. Gegen Ende der 11. Kalenderwoche wurde nach einer Stellungnahme der Europäischen Arzneimittelagentur die Impfung mit der AZD1222-Vakzine wieder aufgenommen, allerdings unter Aufnahme eines neuen Warnhinweises in den Beipackzettel. Von einem möglichen Zusammenhang zwischen den beobachteten Sinusvenenthrombosen und der Impfung muss weiterhin ausgegangen werden. Aufgrund der Seltenheit der Fälle und des eindeutigen Überwiegens der Vorteile der Impfung im Hinblick auf die laufende Pandemie wurde jedoch zunächst zugunsten der weiteren Anwendung des Impfstoffs entschieden.

Nachdem allerdings die Zahl der gemeldeten Fälle von Hirnvenenthrombosen bis zum 30.03. auf 31 angestiegen war (bei rund 2,7 Millionen verabreichten Impfdosen) und weiterhin vorwiegend Frauen (29) im Alter zwischen 20 und 63 Jahren betroffen waren, entschied sich die Ständige Impfkommission (STIKO) dazu, vorläufig die Impfung nur noch für Personen in der Altersgruppe über 60 Jahren zu empfehlen. Daraufhin beschränkten zahlreiche Impfzentren bzw. Städte den Einsatz des Impfstoffs. In der Charité beispielsweise wurden Frauen unter 55 Jahren nicht mehr mit AZD1222 geimpft. Experten bezweifelten insbesondere für die jüngeren Altersgruppen, die nur in geringem Umfang von COVID-19-Todesfällen betroffen sind, den Nutzen der Impfung.

Bis zum 02.04.2021 wurden dem Paul-Ehrlich-Institut 42 Fälle von Sinusvenenthrombosen im Zusammenhang mit einer Impfung mit dem AZD-1222-Impfstoff gemeldet. Bei 23 Fällen lag gleichzeitig eine Thrombocytopenie (Verminderung der Zahl der Blutplättchen) vor.  Unabhängig davon lagen 41 weitere Meldungen von Thrombocytopenie ohne gleichzeitige Sinusvenenthrombose vor. In vier dieser Fälle war es zu einer Hirnblutung gekommen, drei davon waren tödlich verlaufen.

Greifswalder Forscher fanden unterdessen in Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut den möglichen pathogenetischen Mechanismus der Blutgerinnungsstörung heraus (Preprint: (A Prothrombotic Thrombocytopenic Disorder Resembling Heparin-Induced Thrombocytopenia Following Coronavirus-19 Vaccination | Research Square)). Das Krankheitsbild ähnelt klinisch der sogenannten Heparin-induzierten Thrombozytopenie, die durch Plättchen-aktivierende Antikörper hervorgerufen wird. Die Aktivierung der Blutplättchen führt zur Gerinnselbildung und zugleich zur Abnahme der Thrombocyten im Blut (Thrombocytopenie). Selten kann es zu diesem Mechanismus auch in Abwesenheit von Heparin kommen. Bei vier betroffenen Patienten mit einer Hirnvenenthrombose nach AZD1222-Impfung konnten die Greifswalder Forscher tatsächlich die Antikörper nachweisen, die den beschriebenen Mechanismus auslösen. Sie treten offenbar in einem Zeitraum zwischen 4 und 16 Tagen nach der Impfung auf. Was genau die Antikörperbildung gegen die Blutplättchen auslöst, ist noch nicht geklärt. Möglicherweise könnte es sich um eine zufällige Antigenverwandtschaft mit einem im Impfstoff enthaltenen Antigen (z. B. Vektorantigen) handeln. Der zugrundeliegende spezielle Krankheitsmechanismus hat mit dem Entstehen sonstiger Thrombosen übrigens nichts zu tun. Das allgemeine Thrombose-Risiko ist durch die Impfung nicht erhöht, Impflinge mit Thrombosen in der Vorgeschichte sind nicht vermehrt gefährdet.

Fazit. Ziel der Impfkampagne ist es in erster Linie, die schweren und tödlichen Verläufe einer COVID-Infektion zu verhindern, damit auch das Gesundheitssystem zu entlasten, und die Zirkulation des Virus in der Population zu unterbinden. Daran muss sich die Leistungsfähigkeit eines Impfstoffs messen lassen. Daher müssen die veröffentlichten Schutzraten im Hinblick darauf interpretiert werden, worauf sie sich beziehen: Infektion, symptomatische Infektion oder Hospitalisierung. Schützt die AZD1222-Impfung ausreichend gegen schwere COVID-Verläufe? Ja, das tut sie, und zwar gemäß der zitierten schottischen Studie genauso gut wie die mRNA-Vakzine BNT162b2 (Pfizer/BioNTech). Eine hohe Schutzwirkung gegen eine symptomatische COVID-Infektion und eine sehr hohe gegen Hospitalisierung durch COVID-19 tritt bereits nach der ersten Impfdosis ein, wenn auch der Schutz gegen die Infektion an sich noch gering ist. Der AZD1222-Impfstoff schützt auch in hohem Maße gegen eine symptomatische COVID-19-Erkrankung durch die britische Variante B.1.1.7, jedoch kaum gegen die asymptomatische Infektion. Diese Schutzwirkung besteht, obwohl die durch die Impfung hervorgerufenen neutralisierenden Antikörperspiegel gegen B.1.1.7 deutlich niedriger sind als gegen die früher dominierenden Virusvarianten. Offenbar besteht übrigens kaum eine Schutzwirkung gegen eine symptomatische Infektion mit der südafrikanischen Variante B.1.351, wie Ergebnisse aus Südafrika zeigen, wo die Verimpfung des AstraZeneca-Impfstoffs AZD1222 inzwischen eingestellt wurde. Trägt der Impfstoff zur Verminderung der Zirkulation des Virus in der Population bei? Davon kann man ausgehen. Zwar werden asymptomatische Infektionen bei der ursprünglichen Viruslinie nicht mit gleicher Effizienz und bei der Variante B.1.1.7 kaum verhindert, jedoch ist nach den zitierten Studienergebnissen davon auszugehen, dass die Viruslast und damit das Ansteckungspotenzial bei den asymptomatischen Infizierten deutlich vermindert wird.

Die Daten aus Schottland sowie die vom Hersteller mitgeteilten Ergebnisse der Phase-3-Studie in den USA, Chile und Peru belegen auch die Wirksamkeit bei älteren Menschen, so dass die Bedenken gegen eine Anwendung bei Personen über 65 Jahren, die auf zu geringen Probandenzahlen in dieser Altersgruppe in der originären Phase2/3-Studie beruhten, fallen gelassen werden können. Überdies lässt sich die Wirksamkeit des AZD1222-Impfstoffs noch steigern, wenn das Intervall zwischen erster und zweiter Impfdosis auf 12 Wochen verlängert wird.

Der AZD1222-Impfstoff ist daher unter Wirksamkeitsgesichtspunkten absolut für den beabsichtigten Einsatzzweck geeignet. Erst wenn eines Tages alle Impfstoffe in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, wird sich die Frage stellen, ob bestimmte Präparate zu bevorzugen sind, weil sie in diesem oder jenem Aspekt (z. B. Wirksamkeit gegen die Varianten) dem Gesamtziel besser dienen.

Der mögliche Zusammenhang zwischen der Verabreichung des AZD1222-Impfstoffs und dem seltenen Auftreten von Sinusvenenthrombosen ist nicht ausgeräumt, sondern durch immer neue Fallberichte wahrscheinlicher geworden. Der epidemiologische Nutzen einer Anwendung des Impfstoffs wird jedoch durch die EMA gegenüber dem Risiko einer solchen Komplikation als weit überwiegend eingeschätzt. Gleichwohl steigen die Zahlen der gemeldeten Verdachtsfälle von Sinusvenenthrombosen kontinuierlich an, und eine Alters- und Geschlechtsprädilektion scheint sich zu konkretisieren. Betroffen sind überwiegend Frauen jüngeren Alters. Es zeichnet sich ab, dass dies unter Nutzen-/Risiko-Aspekten zu einer Modifikation der Empfehlungen für den Einsatz der AZD1222-Vakzine führen wird, indem z. B. geschlechts- und altersspezifische Einschränkungen verfügt werden.

Ad26.COV2.S-Vakzine (Johnson&Johnson)

Der nächste Vakzinekandidat, der für die Impfkampagne verfügbar werden wird, zeichnet sich ab. Es handelt sich um eine Adenovirus-Vektorvakzine, die von Johnson & Johnson entwickelt wird. Ähnlich wie bei der AZD1222-Vakzine wurde der Adenovirus-Vektor (hier: Adenovirus 26) gentechnisch so verändert, dass er für das gesamte Spike-Protein von SARS-CoV-2 kodiert. Wie bei der AZD1222-Vakzine ist der Vektor nicht replikationskompetent, d.h. es werden in den menschlichen Zellen keine vermehrungsfähigen Viruspartikel produziert. Zwischenergebnisse aus einer noch laufenden Phase-1/2-Studie wurden am 13.1.2021 im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Dabei zeigte der Vakzine-Kandidat eine gute Verträglichkeit. Die beobachteten unerwünschten Wirkungen bewegten sich in Häufigkeit und Schweregrad ungefähr in dem Bereich, der auch für die AZD1222-Vakzine berichtet worden ist. Entscheidend war, dass mindestens 90% der Geimpften am Tag 29 und nahezu 100% am Tag 57 nach Gabe des Impfstoffs neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2 entwickelt hatten, was eine hohe Schutzrate verspricht (Interim Results of a Phase 1–2a Trial of Ad26.COV2.S Covid-19 Vaccine | NEJM). Eine Phase-3-Studie mit dem Namen ENSEMBLE läuft mit mehr als 45.000 Probanden. Erste Zwischenergebnisse daraus hat Johnson & Johnson nun am 29.01.2021 auf der Basis von 43.783 Probanden bekanntgegeben (Johnson & Johnson Announces Single-Shot Janssen COVID-19 Vaccine Candidate Met Primary Endpoints in Interim Analysis of its Phase 3 ENSEMBLE Trial | Johnson & Johnson (jnj.com)). Die berichteten Wirksamkeitsraten lagen deutlich niedriger als nach den vorläufigen Daten der Phase1/2-Studie erwartet. In den verschiedenen Studienarmen betrug die erzielte Schutzrate der Vakzine gegen mäßig schwere und schwere COVID-19-Verlaufsformen am Tag 28 nach Gabe der Einzel-Impfdosis 72% (USA), 66% (Südamerika) bzw. 56% (Südafrika), im Mittel über alle Studienarme 66%. Die Schutzrate gegen eine schwere Verlaufsform von COVID-19 betrug im Mittel über alle Studienarme 85% am Tag 28 nach Impfung und nahm danach noch weiter zu. Der Impfschutz war unabhängig von Alter, Rasse und Geschlecht und damit auch bei Impflingen im Alter über 60 Jahren gegeben. Auch fand die Studie keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf die verschiedenen Virusvarianten. Nahezu alle SARS-CoV-2-Infektionen in Südafrika waren zum Zeitpunkt der Studie bereits durch die neue südafrikanische Virusmutante B1.351 ausgelöst.

Bei dem hohen Impfstoffbedarf, der mit den bisher zugelassenen Impfstoffen nur langsam gedeckt werden kann, wäre ein weiteres wirksames Produkt hilfreich. Darüber hinaus ist die Ad26.COV2.S-Vakzine als Einzeldosis-Vakzine konzipiert und bedarf keiner außergewöhnlichen Lagerungsbedingungen, so dass sie auch logistisch zur Entlastung der Impfkampagne beitragen könnte. Der Hersteller Johnson & Johnson erhielt am 27.02.2021 von der FDA eine Notfallzulassung in den USA und am 11.03.2021 eine bedingte Marktzulassung der Europäischen Union. Der Impfstoff soll in Europa durch das belgische Pharma-Unternehmen Janssen vertrieben werden. Allerdings berichtete die US-Arzneimittelbehörde FDA kürzlich von sechs Fällen von Hirnvenenthrombosen, die sich im zeitlichen Zusammenhang mit der Verabreichung der Vakzine ereignet hatten. Insgesamt waren in den USA bereits 6,8 Millionen Dosen des Impfstoffs verabreicht worden. Die Fälle ähneln den vom AstraZeneca-Impfstoff bekannten Fällen und gehen ebenfalls mit einer verminderten Zahl von Blutplättchen einher. In den USA wurde daraufhin eine Impfpause für die Vakzine verhängt, um die Fälle zu untersuchen. Da in den USA mRNA-Impfstoffe in ausreichender Menge verfügbar sind, ist man dort nicht unbedingt auf die Vektorvakzine angewiesen und kann sich bei Impfrisiken eine restriktive Haltung erlauben. Inzwischen ist die Impfpause in den USA wieder aufgehoben, und der Impfstoff darf eingesetzt werden. Der Rollout des Impfstoffs in Europa hat ebenfalls begonnen. Die Ständige Impfkommission empfiehlt aufgrund der Daten aus den USA ähnlich wie bei der AstraZeneca-Vakzine die Anwendung nur bei Personen in der Altersgruppe über 60 Jahren.

NVX-CoV2373-Vakzine

Der Vakzinekandidat NVX-CoV2373 ist der am weitesten fortgeschrittene COVID-19-Impfstoff-Kandidat auf Basis eines gentechnisch hergestellten (rekombinanten) Proteins, das vom SARS-CoV-2-Spike-Protein abgeleitet wurde. Die Entwicklung erfolgte durch die Firma Novavax in Zusammenarbeit mit CEPI (siehe „Impfstoffe gegen COVID-19 – Die Entwicklungspipeline“) und mit finanzieller Unterstützung durch die Operation Warp-Speed. Der Impfstoff enthält ein Trimer des SARS-CoV-2-Spike-Proteins in einer Nanopartikel-Verpackung, sowie ein Adjuvans (Matrix-M). Die Ergebnisse der präklinischen Studien zeigten, dass das Antigen effizient an die menschlichen Zielrezeptoren des Virus bindet. Phase1/2-Studien wurden bereits im Mai 2020 initiiert und zeigten, dass die Vakzine beim Menschen neutralisierende Antikörperspiegel induziert, die über die bei natürlichen Infektionen erzeugten Spiegel hinausgehen. In Großbritannien läuft eine Phase-3-Studie, in die 15.000 Probanden aufgenommen wurden. Eine weitere Phase-3-Studie in den USA und Mexiko, in die mehr als 30.000 Probanden aufgenommen wurden, startete im Dezember 2020.

Am 28.01.2021 gab Novavax eine erste Interimsanalyse auf Basis von mehr als 15.000 Probanden aus dem britischen Studienarm seiner laufenden Phase-3-Studie PREVENT-19 bekannt (Novavax COVID-19 Vaccine Demonstrates 89.3% Efficacy in UK Phase 3 Trial). Bis zu diesem Zeitpunkt waren in der Studienpopulation 62 COVID-19-Fälle aufgetreten, davon 59 in der Plazebo-Gruppe. In 61 Fällen war der Verlauf der Erkrankung mild bis mäßig schwer, in einem Fall schwer. Letzterer gehörte zur Plazebo-Gruppe. Hieraus errechnete sich eine Schutzrate der Vakzine von 89,3%. In über 50% der beobachteten COVID-19-Fälle wurde bereits die britische SARS-CoV-2-Variante B1.1.7 nachgewiesen. Bezogen auf den jeweils ursächlichen Virusstamm (ursprüngliche Variante oder B1.1.7) errechnete sich eine Schutzrate der Vakzine gegen die ursprüngliche Variante von 95,6%, gegen die britische Variante B1.1.7. von 85,6%.

Im südafrikanischen Studienarm der ebenfalls noch laufenden Phase-2b-Studie wurde hingegen nur eine Schutzrate von 60% gegen leichte, mäßiggradige oder schwere Verlaufsformen von COVID-19 beobachtet. Bei den HIV-positiven Probanden war die Schutzrate wesentlich geringer. Die durchschnittliche Wirksamkeit bei HIV-positiven und HIV-negativen Probanden betrug 49,5%. Sequenzierdaten von den in der Studienpopulation aufgetretenen COVID-19-Fällen zeigten, dass bereits mehr als 90% der Fälle durch die südafrikanische Variante B1.351 verursacht waren. Die Daten sprechen dafür, dass die südafrikanische Variante durch ihre Mutationen im Spike-Protein der Vakzine-induzierten Immunantwort teilweise entkommt.

Gam-COVID-Vac (Sputnik V)

Die unter dem Namen Gam-COVID-Vac oder Sputnik V durch das Gamaleya Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau, Russland, entwickelte Vakzine wurde bisher u.a. wegen der Intransparenz des Stands der Forschung in westlichen Ländern kaum wahrgenommen, findet aber neuerdings Aufmerksamkeit, seit Logunov et al. am 2.2.2021 in der Fachzeitschrift The Lancet beachtenswerte Daten aus einer Interimsanalyse ihrer noch laufenden Phase-3-Studie veröffentlichten (Safety and efficacy of an rAd26 and rAd5 vector-based heterologous prime-boost COVID-19 vaccine: an interim analysis of a randomised controlled phase 3 trial in Russia (thelancet.com)). Bei dem Impfstoffkandidaten handelt es sich um eine rekombinante Adenovirus-Vektorvakzine, bei der das vollständige SARS-CoV-2-Spike-Protein durch den gentechnisch veränderten Vektor produziert wird. Im Unterschied zur AZD1222-Vakzine (AstraZeneca) und zur Ad26.COV2.S-Vakzine (Johnson&Johnson) werden beim russischen Impfstoff zwei verschiedene Adenovirus-Vektoren benutzt, und zwar der Adenovirus-26-Vektor für die erste Impfdosis und der Adenovirus-5-Vektor für die zweite Impfdosis. Die Rationale dahinter ist, dass man mit diesem Ansatz erhofft, eine möglicherweise bei Teilen der Bevölkerung bestehende Immunität gegen Adenoviren zu umgehen und damit die Effektivität der Vakzine zu erhöhen. Wie bei den anderen auf dieser Seite vorgestellten Vektorvakzinen handelt es sich um nicht replikationsfähige Virusvektoren, die zwar in der infizierten Zelle das Impfantigen produzieren, aber keine vermehrungsfähigen neuen Viren bilden können.

Die jetzt veröffentlichten Daten beruhen auf einer randomisierten, doppelt verblindeten, Placebo-kontrollierten Phase-3-Studie an Probanden aus allen Altersgruppen über dem 18. Lebensjahr, die in 25 Moskauer Krankenhäusern durchgeführt wurde. Mehr als 10% der Studienteilnehmer gehörten der Altersgruppe über 60 Jahren an. Die beiden Impfdosen wurden im Abstand von 21 Tagen verabreicht. Als primärer Endpunkt wurde der Anteil der Probanden mit PCR-bestätigter COVID-19-Erkrankung am Tag 21 nach Verabreichung der ersten Impfdosis (also am Tag der Verabreichung der zweiten Dosis) gewählt. Zum Zeitpunkt der Interimsanalyse waren in der Gruppe der Probanden, die den Impfstoff erhalten hatten (n = 14.964) insgesamt 16, in der Placebo-Gruppe (n=4.902) insgesamt 62 an COVID-19 erkrankt. Hieraus errechnete sich eine Schutzrate der Impfung von 91,6%. In jeder Altersgruppe wurde dabei eine Schutzrate von mindestens 87% erreicht. Unerwünschte Impfnebenwirkungen traten bei etwa der Hälfte der Geimpften auf, waren aber in 94% der Fälle leichter bis mäßiggradiger Natur. Bei ernsteren Ereignissen, die bei wenigen Probanden sowohl in der Gruppe der Geimpften, als auch in der Placebo-Gruppe auftraten, konnte kein Zusammenhang mit der Verabreichung der Impfung verifiziert werden.

Da die Probanden bis zum berichteten Endpunkt nicht regelmäßig mithilfe der PCR auf eine SARS-CoV-2-Infektion getestet wurden, sondern erst bei Auftreten eines klinischen COVID-19-Verdachts, kann die Studie keine Aussage darüber treffen, inwieweit die Impfung auch asymptomatische Infektionen verhindert hat.

Die veröffentlichten Daten scheinen überzeugend und bieten die Voraussetzung für die Beantragung einer begrenzten Marktzulassung in der EU. Die Verfügbarkeit eines weiteren Impfstoffs könnte hier helfen, die von Engpässen geprägte Impfstoffversorgung zu entspannen.

Was wir derzeit über die COVID-19-Impfstoffe wissen, und was nicht

Den ursprünglich an dieser Stelle veröffentlichten Abschnitt finden Sie jetzt in einem eigenen Kapitel.