Die Frage der Immunität und deren Dauer nach einer natürlichen SARS-CoV-2-Infektion und nach einer Impfung ist von entscheidender Bedeutung für die Eindämmungsstrategien. Ideal wäre es natürlich, wenn nach einer SARS-CoV-2-Infektion oder nach einer Impfung eine lebenslange Immunität zurückbliebe, und man sich danach nie mehr infizieren könnte. Ggfs. könnte man dann bei derart „Immunen“ auf Präventionsmaßnahmen wie das Maskentragen verzichten. Das ist aber nicht zu erwarten. Das zeigen die Erfahrungen mit Infektionen durch andere humanpathogene Coronaviren, die nach einer Infektion eine Immunität von ca. bis zu einem Jahr hinterlassen.
Leider gibt es auf diese Fragen aber noch keine endgültigen und keine vollständigen Antworten. Immerhin weiß man aus umfangreichen Phase-III-Studien, dass nach Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ein Immunschutz von ca. 95% gegen eine Neuinfektion erzielt wird (siehe Kapitel „Impfstoffentwicklung“). Wie lange dieser Immunschutz anhält, wird man erst nach entsprechend langer Beobachtungszeit wissen. Dass eine natürliche Infektion ebenfalls einen Immunschutz hinterlässt, weiß man aus Tierversuchen an Makaken, die nach überstandener Infektion gegen eine erneute Infektion mit SARS-CoV-2 immun waren. In einigen Studien wurde gezeigt, dass beim Menschen nach der Infektion neutralisierende Antikörper über mindestens sechs Monate nachweisbar bleiben. (Immunological memory to SARS-CoV-2 assessed for up to 8 months after infection (nih.gov)). Daraus konnte man indirekt auf einen Immunschutz schließen. Allerdings wurde auch gezeigt, dass die verschiedenen Komponenten der spezifischen Immunantwort gegen das Virus nach einer Infektion über die Zeit langsam wieder abnehmen. Antikörper gegen die Rezeptorbindungsdomäne des Spike-Proteins nahmen über einen Zeitraum von 6 bis 8 Monaten nur mäßig ab. Virusspezifische T-Zellen verminderten sich mit einer Halbwertszeit von 3-5 Monaten. Es fehlten aber Langzeitstudien zu der Frage, ob einmal Infizierte sich erneut infizieren können, und ab wann dies der Fall ist.
Diese Lücke scheint jetzt die sogenannte SIREN-(SARS-CoV-2 Immunity and Reinfection Evaluation)-Studie zu schließen, aus der gerade vorläufige Teilergebnisse bekanntgegeben wurden (noch unveröffentlicht; Past SARS-CoV-2 Infection Mostly Protects Survivors | The Scientist Magazine® (the-scientist.com)).
SIREN ist die größte Studie zur Frage der Reinfektion nach einer SARS-CoV-2-Infektion. Probanden sind über 20.000 Beschäftigte im Gesundheitswesen, die regelmäßig (alle 2-4 Wochen) mittels PCR auf eine Infektion gescreent werden, sodass auch asymptomatische Infektionen erkannt werden. Durch gleichzeitig durchgeführte Antikörpertests werden auch zurückliegende Infektionen erfasst. Jetzt vorveröffentlichte Zwischenergebnisse der Studie zeigten das in einem 5-monatigen Beobachtungszeitraum unter 6.614 Teilnehmern, die bereits eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden hatten, nur 44 „potenzielle“ Reinfektionen auftraten. Diese wurden anhand positiver PCR Ergebnisse festgestellt, wobei im weiteren Verlauf der Studie noch ausgeschlossen werden soll, dass es sich dabei um eine Reaktivierung der Virusausscheidung im Zusammenhang mit der Erstinfektion handelt. Zum Zeitpunkt der Verlautbarung waren erst 2 der 44 Fälle als „wahrscheinliche“ Reinfektion eingestuft. Unter 14.173 Teilnehmern, die noch keine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, traten 318 Neuinfektionen auf. Nur 13 der potenziellen Reinfektionen gingen mit Symptomen einher, während bei den Erstinfektionen 78 % der Untersuchten Symptome zeigten. Unter den Probanden mit Reinfektionen hatten einige hohe Viruslasten in Nase und Hals, auch wenn sie keine Symptome zeigten. Solche Viruslasten sind mit einem hohen Übertragungsrisiko assoziiert. Aus den Daten kann man eine Schutzrate gegenüber einer erneuten Infektion im Fünfmonatszeitraum nach einer überstandenen Erstinfektion von mindestens ca. 75 % und eine Schutzrate gegenüber einer symptomatischen Reinfektion von mindestens ca. 94 % ableiten. Diese Schutzraten können sich noch erhöhen, wenn die „potenziellen“ Reinfektionsfälle im Rahmen der noch ausstehenden Untersuchungen nicht als „wahrscheinlich“ bestätigt werden können.
Zu nennen ist hier auch eine noch umfangreichere populationsbasierte Beobachtungsstudie aus Dänemark, in die über 500.000 während der ersten Welle PCR-getestete Probanden einbezogen wurden (Assessment of protection against reinfection with SARS-CoV-2 among 4 million PCR-tested individuals in Denmark in 2020: a population-level observational study – The Lancet). Untersucht wurde, wie viele PCR-Positive sich im Vergleich zu einem nach demographischen Kriterien abgeglichenen Kontrollkollektiv während der zweiten Welle erneut infizierten. Hier wurde nach einer Erstinfektion eine Schutzrate von zwischen 78,8 und 80,5% gegen eine erneute Infektion gefunden. Allerdings zeigte sich in dieser Studie, dass die Schutzrate in Bezug auf eine erneute Infektion bei älteren Probanden über 65 Jahren deutlich geringer war, nämlich nur 47,1%.
Während also diese Daten dafür sprechen, dass man nach einer durchgemachten natürlichen SARS-CoV-2-Infektion innerhalb der Beobachtungszeit von 5-8 Monaten ein hoher Schutz gegen eine Reinfektion und ein noch höherer gegen eine symptomatische Reinfektion besteht, bleibt das Risiko bestehen, dass auch Personen, die selbst bereits eine Infektion durchgemacht haben, erneut zu Virusüberträgern werden können. Auch sie müssen daher weiter in die Maßnahmen zur Verhinderung einer Virusübertragung (Tragen von Masken) eingebunden werden. Insbesondere der deutlich geringere Schutz bei Älteren spricht überdies dafür, dass auch bereits zuvor mit SARS-CoV-2 Infizierte geimpft werden sollten. Dies resultiert sogar in einem breiteren Immunschutz. Wie eine neue Studie (Prior SARS-CoV-2 infection rescues B and T cell responses to variants after first vaccine dose | Science (sciencemag.org)) zeigen konnte, führt bereits die Verabreichung einer einzigen Impfdosis der BNT162b2-Vakzine (BioNTech/Pfizer) bei einer bereits in der Vergangenheit mit dem ursprünglich verbreiteten Virustyp infizierten Person zu einer starken T- und B-Zell-Immunantwort mit Bildung neutralisierender Antikörper. Die Immunantwort ist sogar stärker ausgeprägt als bei Erstimpflingen, die zuvor nicht infiziert waren. Außerdem erfasst die Immunantwort bei Impflingen mit vorangegangener Infektion die Varianten B.1.1.7 und B.1.351 besser als die Immunantwort bei Erstimpflingen ohne vorangegangene Infektion.