Was wir derzeit über die COVID-19-Impfstoffe wissen, und was nicht

Anfang Dezember 2020 wurden durch die entsprechenden Hersteller bereits für die beiden mRNA-Impfstoffkandidaten eingeschränkte Zulassungen in den USA und Europa beantragt. Für die Pfizer/BioNTech-Vakzine wurde in Großbritannien und den USA noch im Dezember eine Zulassung erteilt. Für Europa war der Rollout durch die Vorabproduktion von Millionen von Impfstoffdosen bereits durch den Hersteller vorbereitet worden und konnte unmittelbar nach Erteilung der bedingten Marktzulassung durch die Europäische Kommission, die am 21.12.2020 erfolgt ist, beginnen. Im Laufe des Januar 2021 erhielten in Europa zwei weitere Impfstoffe eine bedingte Marktzulassung, die mRNA-Vakzine von Moderna und die Vektorvakzine des Herstellers AstraZeneca. Am 11.03.2021 folgte die Vektorvakzine von Johnson & Johnson.

  • Für alle vier in Europa bisher bedingt marktzugelassenen Impfstoffe wurden auf Basis der Interimsanalysen hohe Wirksamkeitsraten ermittelt. Die anfangs heterogenen Wirksamkeitsdaten für die AZD1222-Vakzine wurden durch neuere Daten nach oben korrigiert. Inzwischen liegen aus Feldstudien auch belastbare Erkenntnisse darüber vor, dass die Impfungen nicht nur vor Erkrankung, sondern auch vor der Infektion in hohem Maße schützen.
  • Soweit Daten aus den Phase-III-Studien über die Verträglichkeit der Impfstoffe zugänglich sind, scheinen sie im Allgemeinen gut verträglich zu sein, d. h. unerwünschte Wirkungen sind zwar nicht selten, beschränken sich aber auf lokale Reaktionen an der Injektionsstelle sowie mittelschwere systemische Reaktionen wie Fieber. Schwerere Impfstoff-bezogene Nebenwirkungen wurden offenbar nicht oder nur bei einem sehr kleinen Teil der Probanden beobachtet.
    Soweit schwerwiegende unerwünschte Ereignisse im Rahmen der Phase-III-Studien auftreten, werden sie nur dann als Impfstoff-bedingt angesehen, wenn sie bei den Geimpften signifikant häufiger auftreten als in der Kontrollgruppe. Einzelfälle werden im Hinblick auf andere mögliche Ursachen begutachtet und nach medizinischer Plausibilität beurteilt. Es ist allerdings stets damit zu rechnen, dass bei Massenanwendung der Impfstoffe seltene unerwünschte Nebenwirkungen auftreten, die bei den klinischen Studien aufgrund des begrenzten Stichprobenumfangs nicht beobachtet wurden. In solchen Fällen muss dann ebenfalls nach statistischen Kriterien und medizinischer Plausibilitätsprüfung ein möglicher Zusammenhang zum Impfstoff beurteilt werden. Die beobachteten seltenen Fälle von Hirnvenenthrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der AstraZeneca- sowie der Johnson&Johnson-Vakzine sind Beispiele dafür.
  • Naturgemäß liegen keine Daten zur Langzeit-Sicherheit der Impfstoffe vor. Dies ist insbesondere relevant für die mRNA-Impfstoffe, da solche Impfstoffe bisher noch nie zuvor zugelassen worden waren und Langzeit-Erfahrungen somit fehlen. Die Wahrscheinlichkeit eines möglichen Langzeit-Sicherheitsrisikos wird theoretisch als gering eingeschätzt, ist aber auch nicht völlig auszuschließen (s. o.).
  • Bisher ist nicht bekannt, wie lange der durch die Impfstoffe vermittelte Immunschutz letztlich anhält. Gegenwärtig kann von einem Immunschutz von mindestens einem halben Jahr ausgegangen werden.
  • Nach bisher vorliegenden Erkenntnissen ist die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen die sich rasch ausbreitenden neuen Virusvarianten heterogen und bedarf der genauen Beobachtung (siehe hierzu auch das Kapitel „Wie hat sich das Virus im Verlauf der Pandemie verändert?“). Die in Europa inzwischen dominierende britische Variante B.1.1.7 wird zwar vermindert, aber noch ausreichend erfasst. Dies gilt nicht in gleicher Weise für die südafrikanische Variante B.1.351 oder die brasilianische Variante P1.
  • Die temperaturabhängige Lagerungsstabilität der mRNA-Impfstoffe stellt die Logistik beim Rollout vor besondere Herausforderungen. Dies trifft insbesondere auf den Pfizer-Impfstoff zu, der bei minus 70 Grad Celsius gelagert werden muss. Die mRNA-Impfstoffe haben dafür den Vorteil, dass sie in vitro vergleichsweise einfach herstellbar und damit besonders Massenproduktions-tauglich sind.
  • Bei den Vektorvakzinen muss damit gerechnet werden, dass bei den Geimpften auch natürliche Antikörper gegen den Vektor induziert werden, was die Impfung bei späteren Wiederholungen ineffizient machen kann. Auch zu dieser möglichen Problematik liegen noch keine ausreichenden Erfahrungen vor.

Ob von den Impfstoffen erwartet werden kann, dass sie das Ende der Pandemie einläuten, was sich viele davon erhoffen, wird davon abhängen,

  • wie gut die Akzeptanz der Bevölkerung und damit die erzielbare Durchimpfungsrate ist,
  • ob die Geimpften auch vor einer Infektion geschützt sind und damit die Weitergabe des Virus an Ungeimpfte unterbunden werden kann,
  • wie rasch die Durchimpfung der Population erfolgt,
  • und wie lange der Immunschutz vorhält.

Sollten die genannten Faktoren es nicht zulassen, dass in der Bevölkerung rasch eine Herdenimmunität aufgebaut werden kann, so dass das Virus weiterhin – in geringerem Maße – übertragen wird und endemisch bleibt, könnten auf Dauer immer neue Virusvarianten entstehen, die zu neuen Ausbrüchen auch bei bereits Geimpften führen.

Studien vs. Praxis: Wie gut funktionieren die Impfstoffe in der realen Anwendung?

Die vor der Zulassung durchzuführenden klinischen Studien der Phase 3 geben Aufschluss über die zu erwartende Wirksamkeit der jeweiligen Impfstoffe. Sie sind jedoch im Hinblick auf die Rekrutierung der Studienteilnehmer nicht frei von Künstlichkeiten, so dass ihre Ergebnisse immer nur eine Näherung im Hinblick auf die tatsächlichen Verhältnisse in der Zielpopulation darstellen. Nachdem nun etliche Impfstoffe im Rahmen der erteilten Notfallzulassungen bereits massenhaft verimpft wurden, gibt es erste Studien, die Aussagen treffen über die tatsächlich erzielten Schutzraten in der geimpften Population. Bei entsprechendem Studiendesign können sie auch weitergehende Fragen beantworten, z. B. die Wirksamkeit der Impfstoffe im Hinblick auf die vorherrschenden SARS-CoV-2-Varianten oder die Wirksamkeit gegen leichtere und schwerere COVID-19-Verläufe oder gegen eine ohne Symptome einhergehende Infektion mit dem Virus. Letzteres beinhaltet auch die Frage, ob eine geimpfte Person noch Überträger des Virus sein kann, ohne selbst zu erkranken.

Am 24.02.2021 wurden im New England Journal of Medicine erstmals Daten zur Effizienz der BNT162b2-mRNA-Vakzine (Pfizer/BioNTech) unter Feldbedingungen in Israel vorgestellt (BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide Mass Vaccination Setting | NEJM). Das Land ist wegen des raschen Fortschritts der Impfkampagne besonders gut für eine solche Studie geeignet. An der Durchführung war einer der größten Gesundheitsversorger Israels mit einem Überblick über die Hälfte der gesamten zu impfenden Population des Landes beteiligt. Da bei dieser Art von Studien keine Einbeziehung einer Placebo-Gruppe möglich ist, wird die Kontrollgruppe retrospektiv durch einen Abgleich (Matching) nach festgelegten Kriterien gebildet. In die Bewertung einbezogen wurden hier 596.618 Geimpfte, denen eine gleich große, nach demographischen und klinischen Kriterien abgeglichene Kontrollgruppe aus (noch) ungeimpften Personen gegenübergestellt wurde. Allen Geimpften wurde die BNT162b-mRNA-Vakzine verabreicht. Die errechnete Schutzrate während der Nachbeobachtungszeit, beginnend 7 Tage nach der zweiten Impfdosis betrug 92% gegen eine dokumentierte Infektion, 94% gegen eine COVID-19-Erkrankung, 87% gegen eine Hospitalisierung aufgrund von COVID-19 und 92% gegen eine schwere Verlaufsform der Erkrankung. Die Schutzwirkung der Impfung setzte ab Tag 12 nach Verabreichung der ersten Impfdosis ein. Sie betrug im Zeitraum zwischen Tag 14 und Tag 20 nach der ersten Impfdosis bereits 46% gegen eine dokumentierte Infektion, 57% gegen eine COVID-19-Erkrankung, 74% gegen eine Hospitalisierung aufgrund von COVID-19 und 62% gegen eine schwere Verlaufsform der Erkrankung, sowie 72% gegen einen tödlichen Verlauf von COVID-19. Im Zeitraum der Durchführung der Impfungen waren in Israel bereits viele Infektionen durch die britische Variante B.1.1.7 verursacht, deren Anteil am Infektionsgeschehen bis zum Ende des Studienzeitraums auf 80% zunahm. Die Daten sprechen für die hervorragende Schutzwirkung der verwendeten Vakzine, auch gegen die britische Variante des Virus. Schon zwei Wochen nach Verabreichung der ersten Impfdosis wird eine deutliche Schutzwirkung gegen schwere und tödliche Verläufe erzielt. Zwar zeigt die Studie auch eine hohe Schutzrate gegen eine „dokumentierte Infektion“, die auch eine asymptomatische Infektion einschließt. Daraus kann jedoch nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass die Impfung mit der genannten hohen Schutzrate generell gegen die Infektion und damit die Möglichkeit der Virusübertragung schützt, denn die geimpfte Population wurde nicht systematisch mithilfe der PCR nachuntersucht, so dass asymptomatische Infektionen bei Geimpften der Erfassung entgangen sein können.

Diesen Aspekt adressiert eine andere retrospektive Studie aus der Mayo-Klinik (Rochester, USA), die bisher erst als Vorabdruck (noch nicht begutachtet) vorliegt (OSF Preprints | FDA-authorized COVID-19 vaccines are effective per real-world evidence synthesized across a multi-state health system). Untersucht wurde die Effizienz der gegenwärtig in den USA verwendeten Impfstoffe (BNT162b2 [Pfizer/BioNTech] und mRNA1273 [Moderna]) bei geimpften Personen aus dem Bereich der Mayo-Klinik und angeschlossenen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung (in der Gesundheitsversorgung tätiges Personal und Patienten in Langzeit-Pflegeeinrichtungen). In diese Studie wurden nur Personen einbezogen, von denen in einer festgelegten Beobachtungszeit SARS-CoV-2-PCR-Ergebnisse vorlagen, die eine Aussage zum Infektionsstatus ermöglichten. 31.069 geimpfte Personen wurden einer nach demographischen und klinischen Kriterien abgeglichenen Kontrollgruppe gegenübergestellt. Unter den geimpften Personen befanden sich 8.041 Personen, die bereits zwei Impfdosen erhalten hatten, die restlichen waren erst einmal geimpft worden. Die zweimalige Verabreichung einer COVID-19-Vakzine induzierte eine Schutzrate von 88,7% gegen eine SARS-CoV-2-Infektion (berechnet ab dem 36. Tag nach Verabreichung der ersten Dosis). Unter den geimpften Personen, die sich dennoch infizierten, war die Rate der Hospitalisierungen innerhalb von 14 Tagen nach Krankheitsbeginn im Verhältnis zur Kontrollgruppe signifikant reduziert (3,7% vs. 9,2%). Wichtigstes Ergebnis dieser Studie ist neben der Bestätigung der hohen Wirksamkeit der mRNA-Vakzinen der Nachweis, dass sie nicht nur vor der Erkrankung COVID-19, sondern vor der Infektion und somit auch vor weiterer Übertragung des Virus schützen.

Erwähnenswert ist hier auch eine Feldstudie aus Schottland, die mit Hilfe der umfassend verlinkten „Early Pandemic Evaluation and Enhanced Surveillance of COVID-19 (EAVE II) Datenbank“ durchgeführt wurde, die ungefähr 99% der Gesamtbevölkerung Schottlands (5,4 Millionen Personen) überblickt (Vasileiou E. et al., Univ. Edinburgh). Erfasst werden darin u. a. Impfdaten, Labortests auf SARS-CoV-2, Erkrankungen und Hospitalisierungen. Es handelt sich um eine prospektive offene Kohortenstudie, bei der die mit der BNT162b-Vakzine (Pfizer/BioNTech) oder der AZD1222-Vakzine (AstraZeneca) geimpfte Population erfasst und der noch nicht geimpften Bevölkerung gegenübergestellt wurde, um den Effekt der ersten Impfdosis zu ermitteln.

Wesentliche Erkenntnisse dieser Studie waren eine für die erste Dosis der BNT162b-Vakzine ermittelte Wirksamkeit von 85% gegen Hospitalisierung durch COVID-19 ab 28 Tage nach Verabreichung des Impfstoffs. Für die AZD1222-Vakzine betrug die analoge Wirksamkeit 94%. Die Wirksamkeit der Impfung (kombiniert für beide Impfstoffe) gegen eine Hospitalisierung durch COVID-19 war in allen Altersgruppen vergleichbar hoch und betrug für die Altersgruppen von 18-64 Jahren 85%, für die Altersgruppe von 65-79 Jahren 79% und die Altersgruppe über 80 Jahre 81%.

Zweitimpfung mit einem anderen Impfstoff – Funktioniert das?

Aufgrund der Empfehlung der Ständigen Impfkommission, die Vektorvakzinen nur bei Personen in der Altersgruppe über 60 Jahren anzuwenden, bedurfte es auch einer Lösung für die bis dahin bereits mit einer Impfdosis der AstraZeneca-Vakzine geimpften jüngeren Personen. Auf Basis allgemeiner Erfahrung wurde für diese Personengruppe empfohlen, die Zweitimpfung mit einer mRNA-Vakzine durchzuführen. Allerdings fehlten bisher für eine „heterologe“, d. h. mit einem anderen Impfstoff durchgeführte Zweitimpfung die Daten bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit. Eine kürzlich in „The Lancet“ veröffentlichte Studie zu dem Thema trägt nun erste Erkenntnisse bei (Heterologous prime-boost COVID-19 vaccination: initial reactogenicity data – The Lancet), vorerst allerdings nur im Hinblick auf die Verträglichkeit. Die Wirksamkeitsdaten sollen im Juni folgen. Insgesamt wurden 830 Probanden randomisiert verschiedenen Impfschemata mit den Impfstoffen AZD1222 (AstraZeneca) bzw. BNT162b2 (Pfizer/BioNTech) zugewiesen. Dabei gab es zwei mögliche Impfintervalle (28 Tage und 84 Tage) sowie vier verschiedene Impfstoffregime (homolog und heterolog, d. h. gleiche oder verschiedene Impfstoffe) für Erst- und Zweitimpfung. Quintessenz der vorläufigen Daten ist eine höhere Nebenwirkungsrate für die heterologen Impfschemata (verschiedene Impfstoffe) im Vergleich zu den homologen (gleiche Impfstoffe). So entwickelten beispielsweise Probanden, die als Erstimpfung AZD1222 und als Zweitimpfung BNT162b2 erhalten hatten, deutlich häufiger (34%) Fieber als diejenigen, die für beide Impfungen AZD1222 erhalten hatten (10%). Ähnliche Ergebnisse wurden für andere Allgemeinsymptome wie Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen ermittelt. Auch bei der umgekehrten Reihenfolge der Impfstoffe kam es zu vermehrten Reaktionen. Diese waren aber generell von kurzer Dauer und z. B. mit Paracetamol gut beherrschbar, so dass unter Sicherheitsaspekten keine Bedenken gegen die heterologen Impfschamata bestehen.