Erste Daten aus klinischen Studien zu Remdesivir veröffentlicht

Ergänzung zu Antivirale Substanzen – Stand der klinischen Studien/​Remdesivir

Mit großer Hoffnung und Spannung werden die Daten aus den laufenden klinischen Studien zu Remdesivir erwartet. Wir hatten bereits über inoffizielle Zwischenergebnisse einer Teilstudie berichtet. Worauf es aber letztlich bei den Therapie-Studien ankommt, sind belastbare Daten aus randomisierten klinischen Studien. Nun liegen erste Veröffentlichungen vor, aber die Datenlage ist nicht ganz so eindeutig, wie man es sich gewünscht hätte. Es gibt vielmehr widersprüchliche Ergebnisse aus zwei Studien.

Die erste Studie stammt aus Hubei und wurde am 29.4. in Lancet veröffentlicht (Yeming Wang et al., The Lancet, 2020 [https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)31022-9/fulltext]).

In einem Placebo-kontrollierten doppelblinden Ansatz nahmen an mehreren Zentren insgesamt 237 Patienten an der Studie teil (158 Remdesivir-Gruppe, 79 Placebo-Gruppe). Alle hatten eine laborbestätigte SARS-CoV-2-Infektion und eine radiologisch nachgewiesene Pneumonie. Die Autoren fanden in diesem Kollektiv keine statistisch signifikanten klinischen Vorteile bei Patienten, die mit Remdesivir behandelt wurden, hinsichtlich der Zeit bis zur klinischen Besserung (Remdesivir-Gruppe 21 Tage, Placebo-Gruppe 23 Tage) bzw. der Letalität (Remdesivir-Gruppe 14 %, Placebo-Gruppe 13 %). Zwar reduzierte sich die Zeitdauer bis zur klinischen Besserung bei Patienten mit einer Symptomdauer von 10 oder weniger Tagen, jedoch war auch dieser Befund nicht statistisch signifikant.

Am gleichen Tag veröffentlichte das NIH auf seiner Webseite vorläufige Daten aus seiner Studie mit der Bezeichnung „Adaptive COVID-19 Treatment Trial (ACTT)“ (https://www.drugs.com/clinical_trials/gilead-s-investigational-antiviral-remdesivir-receives-u-s-food-administration-emergency-18553.html). An dieser Placebo-kontrollierten Studie nehmen 1063 Patienten teil. Bei einem routinemäßigen Monitoring eines unabhängigen „Data and Safety Monitoring Board“ wurden signifikante Vorteile der Remdesivir-Gruppe im Hinblick auf das Kriterium „Zeit bis zur klinischen Besserung (Entlassung aus dem Krankenhaus oder Wiederaufnahme der normalen Aktivitäten)“ festgestellt, was dann aus ethischen Gründen zur Aufgabe des Placebo-Arms der Studie führte. Die mit Remdesivir behandelten Patienten erholten sich im Mittel um 31 % schneller (11 Tage vs. 15 Tage) als die Patienten in der Placebo-Gruppe, was statistisch hochsignifikant war (p<0.001). Die Remdesivir-Gruppe zeigte im Vergleich zur Placebo-Gruppe tendenziell eine geringere Mortalität (8,0 % vs. 11,6 %), was statistisch nicht signifikant war (p<0,059). Diese Ergebnisse führten schließlich in einem Schnellverfahren zu einer „Emergency Use Authorization“ der FDA für Remdesivir. Das Mittel darf ab sofort bei schwer kranken Patienten eingesetzt werden. Die US-Regierung hat Verhandlungen mit dem Hersteller Gilead aufgenommen um die ausreichende Produktion von Remdesivir und die Versorgung der Krankenhäuser mit dem Mittel sicherzustellen. Nach der „Emergency Use Authorization“ der FDA hat auch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA einen breiteren Einsatz von Remdesivir beim „Compassionate Use“ (Härtefallprogramm) autorisiert. Zusätzlich wurde die Behandlungsdauer auf fünf Tage verkürzt, wodurch mehr COVID-19-Erkrankte das weltweit stark gefragte Corona-Arzneimittel erhalten können. Der Einsatz darf aber nur bei COVID-19-Patienten erfolgen, die eine invasive maschinelle Beatmung benötigen. Diese haben eine besonders niedrige Überlebenschance.

Noch ist angesichts widersprüchlicher Studiendaten Skepsis angezeigt, ob Remdesivir wirklich einen Durchbruch bei der Behandlung schwerkranker COVID-19-Patienten bringt. Fest steht, dass es bei solchen Patienten keine Wunder vollbringen kann, denn auch von den Remdesivir-behandelten Patienten stirbt ein nicht unerheblicher Anteil. Weitere Studienergebnisse werden zeigen müssen, ob mit einem Einsatz des Mittels zu einem früheren Zeitpunkt im Krankheitsverlauf größere Vorteile im Behandlungsergebnis erzielt werden können.